Zanzibar im Dezember
Tonight, I’m gonna have myself a real good time
I feel alive and the world I’ll turn it inside out
Queen*
Am 8. Dezember 2018 fand die „Graduation“, soviel wie „Jahresabschlussfeier“, an Ronja´s Schule statt! Die SchülerInnen führten verschiedene Lieder und kleine Sketche auf, Sponsoren waren geladen und die neuen Erstklässler wurden geehrt.
Im Anschluss an die Feier starteten wir gegen Mittag die 450 km lange Fahrt (Dauer aufgrund von sieben Polizeikontrollen, vielfältigen anderen Verkehrsteilnehmern und zahlreichen 50er Zonen: 7-8 Stunden) nach Daressalam, um nach einem kurzen Zwischenstopp dort am kommenden Tag nach Sansibar überzusetzen!
Nach sehr bewegten, herausfordernden wie bereichernden Zeiten in Lindi seit unserem Umzug hierher im April 2017 war dies der erste Familienurlaub seit ca. zwei Jahren! Wir hatten eine Familienhütte in der Ndame Lodge in Paje an der Ostküste gebucht und hatten eine richtig schöne Zeit mit tollen Schnorcheltouren, zwei Tagen in Stonetown, Strandspaziergängen, Kite Surfen (Philipp), nette Menschen aus aller Welt kennenlernen, Seaweed Farm besuchen, … Es folgen ein Einblick in Bildern und einige Infos für Interessierte!
„Zanzibar“ ist streng genommen der Name des gesamten Archipels das aus Unguja, Pemba und rund 50 weiteren kleinen Inseln besteht. Die größte Insel dieser Gruppe ist Unguja, das als Sansibar bekannt ist. Unguja liegt 43 km östlich vom Festland und hat knapp 900 000 EinwohnerInnen. Die Bevölkerung ist zu 98% muslimischen Glaubens, was im Alltag nicht zu übersehen ist: Die Mehrheit der Frauen trägt buibuis(lange schwarze Gewänder) über der Kleidung. Auch die Männer zeigen sich in ihrer traditionellen Tracht – lange, weiße Hemden und verzierte Kopfbedeckungen (kofia). Fünfmal pro Tag hallt der Ruf zum Gebet über die Insel. Nachdem wir in Lindi einen sehr ähnlich geprägten Alltag erleben, war uns dies nicht richtig neu. Durchaus neu und teilweise befremdlich war zum einen die Existenz von Luxusresorts inmitten einer Umgebung, die von weitreichender Armut in der Mehrheit der Bevölkerung geprägt ist sowie die Durchmischung mit europäischen TouristInnen, die sich aus unserer Sicht unbeeindruckt zeigten von der unausgesprochenen aber allerorts leicht ersichtlichen Kleiderordnung.
An der Westküste liegt die Hauptstadt des Archipels, Zanzibar Town (ca. 350 000 EW), deren historisches Herzstück Stone Townheißt. Stone Town ist dem Meer zugewandt und wurde vor ca. 300 Jahren von Arabischen Siedlern aus Korallenstein erbaut – eine für Afrika untypische Bauweise. Durch die dichte, schattenspendende Bauweise installierten die Architekten sozusagen eine flächendeckende Klimaanlage. Die meisten Gebäude entstanden im 19. Jh., heute existieren kaum mehr als 40% der alten Bausubstanz im historischen Stadtkern, der 18 000 EW beherbergt. Wir waren zwei ganze Tage in Stone Town und hätten noch viele weitere Tage dort verbringen können. Überall ist etwas los, kleine Läden bieten von Zahnpasta über Obst, Gewürze, Souvenirs, Kleidung und Stoff eine bunte Mischung an und wir empfanden die Atmosphäre als freundlich und offen. Wir genossen Cappuccino und italienisches Eis und erfreuten die Menschen mit unseren Suahelikenntnissen und dem Satz „Tunatoka Lindi!“ – „Wir kommen aus Lindi!“ als Einleitung zu jeglicher Preisverhandlung. Besonders beeindruckend fanden wir die Bauten entlang der Meeresfront, dem vormals strategisch wichtigen Teil der Stadt, in der Nähe des Hafens.
Von Stone Town setzten wir einen Tag auch zu „Prison Island“ rüber. Zu Zeiten der Sultane gehörte die knapp 5 km vor Stone Town liegende Insel einem arabischen Sklavenhändler. Von der Insel konnten die Sklaven kaum fliehen, bevor sie auf dem Sklavenmarkt von Stone Town verkauft wurden. 1893 begann man mit dem Bau eines Gefängnisses, das aber nie als solches benutzt wurde. Stattdessen fungierte das Gebäude bis Mitte der 1930er Jahre als Quarantänestation, in der aus dem indischen Raum einreisende Menschen ein bis zwei Wochen zubringen mussten, bevor sie nach Stone Town weiterreisen durften. Heute ist die Insel bedeutsam als Heimat für 108 Aldabra-Riesenschildkröten, die 1920 als Gastgeschenk der Seychellen an den Sultan ins Land gebracht wurden und von denen die älteste heute 160 Jahre alt ist.
Eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist uns unser Ausflug zum Seaweed Center in Paje– gleich um die Ecke unserer Lodge. Für viele Frauen an der Ostküste ist der Anbau von Seetang eine wichtige Einnahmequelle. Von der Pflanzung bis zur Ernte vergehen zwei Monate. Die Frauen arbeiten ausschließlich bei Ebbe – egal, zu welcher Tageszeit nun gerade Ebbe ist. Je weiter draußen und tiefer gepflanzt werden kann, desto höher ist der Ertrag. Nach der Pflanzung an Stäben, die mit Schnüren miteinanderverbunden sind, muss der Unterwassergarten regelmäßig gepflegt und von Unkraut befreit werden. Wenn der Seetang reif ist wird er abgerissen und in großen Körben an Land gebracht. Nach dem Pflücken werden die salatgrünen Pflanzen, die man so wie man sie aus dem Meer holt auch essen kann, getrocknet und in Bündeln verpackt für den Abtransport fertig gemacht. Was auf den ersten Blick nach einem guten Geschäft für die Frauen aussieht ist oftmals ein Verlustgeschäft. Es fehlt die Möglichkeit zur Weiterverarbeitung und Wertschöpfung auf Sansibar, wodurch entscheidend größere Einkommensmöglichkeiten für die Frauen entstehen könnten. Es mangelt an Infrastruktur (z.B. Strom), Maschinen und Know How. Ein Kilogramm Seetang-Pulver, das aus 5 kg Seetang hergestellt werden, könnte für den fünffachen Preis des Rohproduktes verkauft werden. Seetang-Pulver wird zum Anreichern von Kuchen, Säften, Salaten und Suppen verwendet und auch als Fleischersatz gegessen.
Das Seaweedcenter in Paje vereint 13 Seaweed Frauen in einer Kooperative und verarbeitet den Seetang in der hauseigenen Produktionsstätte. Seaweed wird hier zur Herstellung von Körperpflegeprodukten verwendet, die vor Ort verkauft und an Hotels auf Sansibar geliefert werden. Wir haben das Seaweed Center besucht, durften mit einer der Frauen auf ihre Farm gehen und im Anschluss die Herstellung besuchen. Die Frauen dort berichten von ihrer größten Sorge zurzeit: Der Anstieg der durchschnittlichen Temperatur des Meerwassers ist ein großes Problem für den Seetang und führt zu niedrigeren Erträgen.
Vor der Rückfahrt nach Lindi erstanden wir am 22.12.2018 bei 36°C und mindestens 98% Luftfeuchtigkeit bei einem Pflanzenhändler an der Straße in Daressalam unseren Weihnachtsbaum.
Links zum Weiterlesen:
Beitrag zum Seaweed Farming auf Sansibar: https://www.dw.com/en/zanzibars-seaweed-industry-at-risk/av-38816531
Seaweed Center Paje: https://www.youtube.com/watch?v=0-5QgfQp4b4
Kinder sollten mehr spielen - das Projekt PoaTenge
Kinder sollten mehr spielen, als viele es heutzutage tun. Denn wenn man genügend spielt, solange man klein ist – dann trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später ein Leben lang schöpfen kann. Dann weiß man, was es heißt, in sich eine warme Welt zu haben, die einem Kraft gibt, wenn das Leben schwer wird.
Astrid Lindgren (2000): Steine auf dem Küchenbord: Gedanken, Erinnerungen, Einfälle.
Ist es absurd, einen Blogbeitrag aus Tansania mit einem Zitat von Astrid Lindgren zu beginnen? Einen Beitrag, bei dem es um Kinder geht, die aller Wahrscheinlichkeit nach kein einziges Buch besitzen und in ihrem weiteren Leben vermutlich nicht mit Büchern Astrid Lindgrens in Kontakt kommen werden? Ich finde: nein! Denn es geht heute um genau das, was Lindgren ein so großes Anliegen war: spielende Kinder. Genauer gesagt, die Kinder von Mchinga Mbili.
Mchinga Mbili ist ein Nachbardorf von Lindi (23 km nördlich), mit ca. 6.000 EinwohnerInnen und liegt wie auch Lindi an der B2, der Straße die von Dar es Salaam bis nach Mtwara an die Grenze zu Mosambik führt. Bedenkt man, dass 43,4% der Gesamtbevölkerung Tansanias unter 14 Jahre alt ist so leben in Mchinga zurzeit schätzungsweise 2630 Kinder unter 14. Die Menschen in Mchinga Mbili leben als Selbstversorger von der Subsistenzwirtschaft. Zurzeit befindet sich ein Unternehmen zur Herstellung von Sonnenblumenöl sowie Hühneraufzucht im Aufbau, das es sich außerdem zum Ziel gemacht hat, Weiterbildung zu nachhaltiger Landwirtschaft zu betreiben (KT Homepage).
Zurück zu den Kindern! In Tansania ist der Schulbesuch für alle Kinder ab Grundschulalter (sechs Jahre) verpflichtend und abgesehen von Kosten für Schuluniformen sowie Schreibutensilien an den staatlichen Schulen kostenlos. Unter anderem durch sehr große Klassen (bis zu 100 SchülerInnen pro LehrerIn), vielfach miserablen Zustand der Schulgebäude, das Fehlen von Unterrichtsmaterial und die sehr kurze und eingeschränkte zweijährige LehrerInnenausbildung kann das Unterrichtsniveau an staatlichen Schulen in Tansania als mindestens problematisch beschrieben werden.
Schwierig ist weiterhin die geringe Bezahlung sowie das schlechte Ansehen der Lehrkräfte in der Gesellschaft, was sich in der weit verbreitete Meinung zeigt, ein Leben als LehrerIn sei die Konsequenz aus einem sehr schlechten Abschneiden in der eigenen Schullaufbahn (Informationen zur Lehrerausbildung in Tansania finden sich bei der kenianischen NGO FAHAMU hier, Stand: 04.12.2018).
Lediglich 10 % aller GrundschulabsolventInnen besucht im Anschluss an die siebenjährige Grundschule eine weiterführende Schule.
Die Grundschule in Mchinga Mbili hat knapp 800 Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und dreizehn Jahren die von zehn LehrerInnen unterrichtet werden. Nachdem die meisten Kinder die Schule bereits (regelwidrig) nach der vierten oder fünften Klasse verlassen kann davon ausgegangen werden, dass die eigentliche Anzahl schulpflichtiger Kinder noch deutlich höher liegt. Bauliche Mängel (z.B. schadhafte Dächer) gibt es auch an der Grundschule in Mchinga zahlreiche – daran kann die aus unserer Sicht maximal idyllische Lage unter Kokospalmen an einem kilometerlangen, weißen Sandstrand am indischen Ozean nichts ändern. Immerhin wurde kürzlich ein neues Schulgebäude mit zwei Klassenräumen fertig gestellt – nun gibt es sieben Räume für sieben Klassen. Dies verbessert die Situation vor allem mit Blick auf die kommende Regenzeit (das neue Gebäude ist gut zu erkennen auf dem Luftbilder).
Gestern ging es nun um die Außenanlage der Schule:
Unser vor gut einem Jahr ins Leben gerufene Projekt Poatenge (ganz grob: Nähprojekt mit deutsch-tansanischen ProjektpartnerInnen, die durch lokale Herstellung und globalen Verkauf von genähten Produkten einen Gewinn erzielen, der in Tansania zur Beschaffung von Spielgeräten an Grund- und Vorschulen eingesetzt wird) hatte Dank sehr gut laufendem Verkauf der Produkte in Deutschland genügend Gewinn erwirtschaftet, um die mittlerweile vierte Schule mit Spielgeräten auszustatten.
So installierte Schlosser John Hamisi mit seinem Team nach dreiwöchiger Bauphase (im workshop in Lindi) die Geräte unter einem eindrucksvollen Mangobaum vor der Grundschule Mchinga. Das Interesse und die Freude der Kinder hätten nicht größer sein können! Wir sind stolz und dankbar, den Kindern von Mchinga Mbili mit diesen Spielgeräten einen Raum zum Spielen bieten zu können! Die Geräte sind so platziert, dass sie die meiste Zeit des Tages im Schatten liegen und werden sicherlich nicht nur von den Schulkindern, sondern von allen Kindern des Dorfes genutzt werden. Um das Verletzungsrisiko gering zu halten, und da die Kinder in den Pausen und in ihrer Freizeit in der Regel ohne Aufsicht sind, sind alle Poatenge Spielgeräte ohne bewegliche Teile gehalten (daher keine Schaukeln, Wippen etc.). Um die Haltbarkeit zu maximieren und aufgrund von Termiten und Klima (Regenzeit, extreme Sonneneinstrahlung) verzichten wir auf die Verwendung von Holz. Die Errichtung von Spielgeräten an Vor- und Grundschulen in Lindi und Umgebung ist eines der Ziele von Poatenge – neben wirtschaftlichen Aspekten wie der Förderung von Kleinstunternehmen, in unserem Falle in Form unserer Schneiderinnen sowie den Schlossern.
Wer Lust hat, mehr über Poatenge (z.B. Entstehung, Team, Produkte) zu lesen klickt gerne hier:
Mbesa - zu Gast bei Freunden
Auf die schöne kurze Zeit,
zu nehmen und zu geben,
den Augenblick der Ewigkeit,
den wir auf Erden leben.
R. May
Fühlt man sich in Lindi bisweilen relativ weit ab von Informations- und Warenfluss, Weltgeschehen, Milchprodukten, Kneipenkultur etc. so kann man ca. sieben Stunden über Masasi nach Mbesa fahren und bei der Rückkehr dann Lindi in einem völlig neuen Licht sehen. Mbesa liegt ca. 30 km nördlich der mosambikanischen Grenze, ist in der Trockenzeit von Tunduru aus nach anderthalbstündiger Fahrt über ungemütliche Sandpiste zu erreichen und hat schätzungsweise 19.000 Einwohner.
Hier wurde Ende der 50er Jahre auf Anfrage der damaligen britischen Kolonialmacht Tansanias eine deutsche Missionsstation eingerichtet, die in den Hochzeiten (80er Jahre) bis zu 60 deutsche MissionarInnen (inkl. Kinder) beherbergte. Bei unserem Kurztrip Mitte September (da gibt es zwei Wochen Schulferien in Tansania) bestaunten wir das in den 50ern erbaute Schulgebäude, in dem zeitweise sogar deutsche LehrerInnen die Kinder der Missionarsfamilien unterrichteten, die alte deutsche Telefonanlage inkl. Telefon mit Wählscheibe in jedem Gebäude, Brezeln, die ein einheimischer Bäcker dort bis heute backen kann, deutsche Straßenbeleuchtung, eine gigantische Solarstromanlage, den alten Pool der Missionsstation (immerhin zur Hälfte noch dicht und benutzbar), eine eindrucksvolle Landebahn des heute nur noch in Notfällen angeflogenen Flughafens uvm.
Philipp war zwei Vormittage auch im Mbesa Mission Hospital bei der Visite dabei. Das Krankenhaus wurde 1959 gegründet und hat mit seinen 100 Betten ein Einzugsgebiet von etwa 350.000 Personen in einem der ländlichsten und ärmsten Gebiete Tansanias. Lange Zeit unterstützten deutsche ÄrztInnen das Team der behandelnden tansanischen ÄrztInnen, jedoch verließen alle deutschen KollegInnen bis Ende 2017 aus unterschiedlichsten Gründen die Klinik. Aktuell gibt es vereinzelte Kurzeinsätze. Finanzielle Unterstützung besteht weiterhin, auch wenn das Hospital durch eine „public private partnership“ als „designated district hospital“ auch von der Regierung mit finanziert wird.
Ronja ging drei Tage lang überaus glücklich mit den drei Kindern unserer Freunde in Mbesa zur Schule. Der Unterricht findet im Schulgebäude der Mission statt, wo es neben einem Kunstraum sogar eine kleine Turnhalle und Bibliothek gibt sowie drei deutsche Freiwillige, die für jeweils ein Jahr den Unterricht mit Material der Deutschen Fernschule übernehmen. Nachdem wir Ronjas lokalen Schulbesuch in Lindi seit Juli ebenfalls mit Material der Fernschule ergänzen, passte dies perfekt und Ronja war selig, mit anderen deutschsprachigen Kindern lernen und spielen zu können. Auch für uns waren es wunderbare Tage mit spannenden Gesprächen, viel Erfahrungsaustausch und leckerem Essen (neben Brezen gab es auch Käsespätzle, Pizza und zu Mats drittem Geburtstag natürlich einen Schokokuchen)!
Auf dem Rückweg legten wir einen kleinen Stopp nahe einem der Inselberge um Masasi ein und erklommen zusammen mit schätzungsweise 30 Kindern aus der Umgebung inkl. spontan ernanntem Bergführer ein besonders rundes Exemplar (detaillierter Fachtext hier).
Zum Weiterlesen:
Homepage des Missionskrankenhauses Mbesa: http://www.mbesahospital.com/
Informationen zum Krankenhaus und Mbesa von Forum Wiedenest e.V.: https://www.wiedenest.de/weltweite-mission/mission-unterstuetzen/missionsprojekte/mbesa-mission-hospital.html
Primary Surgery: Trauma (Maurice King, Peter Brews): https://www.amazon.de/Primary-Surgery-Trauma-Medical-Publications/dp/019261598X
„Medizin an der Grenze“ (April 2013), ein Artikel in Thieme Via Medici zur Tätigkeit einer deutschen Ärztefamilie in Mbesa: https://seckelmann.files.wordpress.com/2015/08/viamedici-artikel.pdf
Serving in Mission
Above all powers, above all kings
Above all nature and all created things
Above all wisdom and all the ways of man
You are here before the world begann
Lenny Leblanc*
— scroll down for English version —
Vor unserem Umzug nach Lindi machten wir uns über unzählige Dinge Gedanken und versuchten, uns unser neues Leben vorzustellen. Wie würde unser Haus und seine Umgebung aussehen? Was sollten wir einpacken? Gibt es in Lindi eine gute Schule für unsere Kinder? Wie ist das Wetter während der Regenzeit? Womit wir niemals gerechnet hatten war die große Zahl christlicher Missionare und der schöne und wertvolle Kontakt zu ihnen, der sich entwickelte. „Missionare“ meint nun nicht – plakativ gesagt – alte weiße Männer, die möglichst viele Menschen taufen. Stattdessen trafen wir auf eine japanische Familie mit drei Kindern, die seit 15 Jahren in Lindi lebt sowie eine amerikanische Familie aus Texas mit zwei Kindern, die seit drei Jahren in Lindi wohnt. Im nächsten Dorf, 25 km nördlich, leben zwei amerikanische Familien mit zwei und vier Kindern zwischen vier und 14 Jahren. Von Anfang an hießen diese Familien uns sehr herzlichen willkommen, luden uns zu gemeinsamen Treffen ein und waren und sind für uns und unsere Kinder zu wirklich wertvollen Kontakten geworden. Wir möchten heute einen kleinen Einblick in diese für uns völlig neue Lebensrealität und die Motivation sowie den Alltag dieser Familien bieten und tun dies in Form eines Interviews mit Lauren Pierce, der Mutter der texanischen Familie in Lindi. Lauren und ihr Mann Jason sowie ihre zwei Jungs Silas und Noah kamen 2015 nach Lindi und arbeiten für „Serving in Mission“ (SIM). SIM ist eine internationale und interkonfessionelle christliche Missions Organisation, die 1893 gegründet wurde. Die SIM Missionare leben jeweils für zwei Jahre im Ausland, sind dann für ein halbes Jahr im Heimatland und kehren für weitere zwei Jahre zurück ins Ausland.
— English version —
Before coming to Lindi we thought about countless things – e.g. which stuff to take with us or how to learn the language as soon as possible. Also, we tried to imagine many aspects of our future life – what will the place look like where we are going to live? Is there a good school for our children? What is the weather like during rainy season? What we never expected to find in Lindi were christian missioners! Talking about missioners – we don´t mean old white men, baptizing as many people as possible! Instead we met one Japanese family (three children) who has been living in Lindi for about 15 years and one American family from Texas (two children) who has been living here for three years now. In the next village 25 km north of Lindi there are two American missionary families (two and four children). From the very beginning on these families gave us a warm welcome and invited and included us in their joint activities. We and our kids are very thankful for their friendship and with this blog entry we want to provide an insight in their motivation, their challenges and their everyday life in this region. As we do not feel ready to give this insight by ourselves I conducted an interview with Lauren Pierce, the mother of the American family in Lindi. The Piercens first came to Lindi in 2015 and belong to “Serving in Mission” (SIM). SIM is an international and inter confessional Christian mission organization, founded in 1893. The SIM missionaries stay abroad for two years and go on home assignment for six months before their return for another two years and so on.
The Interview:
Wiebke: Originally you and your husband come from Texas. What were you both working back home? Why/how did you decide to change your life radically and move to Tanzania?
Lauren: Before coming to Tanzania, I was a second-grade teacher and Jason worked as a logistics manager at a freight forwarding company. We both felt called or lead by God to quit our day jobs and move to Tanzania in obedience to the conviction that we both felt to share our faith with others.
Wiebke: When did you come to Lindi for the first time? Had you ever been to Tanzania or another foreign country before? How did you choose especially Lindi?
Lauren: Neither Jason or I had ever been in Tanzania before committing to live here long term. We both had been to Kenya and I worked as an English teacher for a short time in Hong Kong as a part of my studies at University.
After going to Kenya together we were hoping to have some sort of clarity as to what to do as missionaries. One of the things we noticed while we were there is that there were A LOT of missionaries and expat workers. We wanted to go to a place where the need was great but the ‘goers” were few. At the time we were working with our sending organization SIM to find a location. They sent us the job descriptions they had for all of East Africa. Jason and I looked through them separately (about 15 positions) and we both picked the same one. We took that as clear direction from the Lord that he wanted us in Lindi, Tanzania. Jason would be working as a Bible teacher and disciple maker and I would also be involved with church development through children’s and women’s ministry.
Wiebke: What about your preparation – which kind of preparation did you go through (e.g. language course)?
Lauren: Jason went back to school to earn his masters degree a year before leaving and I took several online courses on Bible and cross-cultural sensitivity. We also attended a 4 week training in America for language acquisition and cross cultural acclimatization. Once we arrived in Tanzania we studied Swahili for four months in Iringa.
Wiebke: What was your start like in Lindi? Which support did you get from other fellow expats/missioners?
Lauren: Start up in Lindi was very difficult. We had to get used to many things such as the extreme heat and humidity, power outages, limited water and sometimes no running water. I (Lauren) had to re-learn how to cook and do laundry, both of these things I was very capable of doing in America but in Tanzania it was totally different. I remember being so frustrated the first time I made bread from scratch! We ate many meals very late at night because I didn’t realize how long cooking would take when nothing is pre-packaged or prepared. Our teammates, the Shimizu family, were a huge help to us! In the beginning they invited us over for meals many times and would bring any left over food by. This helped me greatly as I struggled to keep food on the table at first (had not yet hired house help.) We were warmly welcomed by our teammates and they understood so many of our struggles. Of course, another big challenge was language. Even though we studied the language fulltime for four months we found that the dialect on the south coast was very different and difficult to understand. Our teammates are from Japan as well so that also presented us with another first. As we were acclimatizing to the Swahili culture we were also learning how to communicate well and be sensitive to our Japanese teammates. However, God really guided and helped us as a team! Being a part of the body of Christ can bring anyone close together. We have many of the same passions and desires and we receive great joy from serving together and learning about each other and our struggles.
Wiebke: For how long will you be living in Lindi?
Lauren: We do not know how long we will be here. We have been in Lindi now for three years and we desire to stay until we feel a peace and direction from God to return home.
Wiebke: What does your work in Lindi consist of? What does a “normal day/week” in Lindi look like for you, your husband and your two boys?
Lauren: Our weeks can vary a lot. Most of the time however, Jason has several different meetings and Bible studies that he leads throughout the week. We both share in house work and taking care of our 2 sons. Throughout the week I am working with the women at Mama wa Nuru. Mama wa Nuru is a group of women who serve in ministry at different churches all around Lindi. Izumi, my teammate, and I have helped them to begin a small business where they make handcrafts and baked goods. Jason also preaches once or twice a month on Sunday mornings and also works with many local pastors to share the gospel of Jesus through different avenues. Some weeks he has more administrative tasks to take care of with our workers and our organization. Daily life here is very busy but often filled with very different things than you might see in a western society. We constantly have visitors through out the day that we are talking with, something always seems to need fixing around the house, and what seems to be a simple job somehow ends up being complicated in a place with limited resources. We find a lot of joy in being together so much as a family though. Our sons are ages 2 and 4 and keep things fun around the house. Our oldest attends a local pre-school 3 days a week and I also homeschool him a bit on the days he is home with me.
Wiebke: Can you tell us a little bit about the ups and down of your life in Lindi? Were there moments where you wanted or want to go home or doubt your life in Lindi? Which were/are the moments when you experience/feel that you are in the right place at the right time?
Lauren: There are so many ups and downs, sometimes you feel this in one day, and other times its more seasonal. The first month we were here we had what we like to call “oh crap!” moments. Moments when we feel like we have made a terrible mistake and life here is much harder than we ever imagined! However, God always helps us through these times. He guides us, leads us, and reminds us of his goodness and blessing in the struggle. We never came to Lindi to fulfill our own happiness, we came for the glory of God and I think this is what also helps us through hard times. We are confident, even on hard days, that we are where we are supposed to be. Explaining that confidence and how we have it is a bit difficult. The only way I really know how is through my faith. We believe that Jesus sacrificed everything, including his own life so that we might be free from the bondage of our sin. Knowing Jesus and what he has done for us, helps us to want to live selflessly for others. Now believe me, we do not do this perfectly! We struggle all the time with a desire to run from it all but like I said before, God is our strong tower and by his grace we stay for another day, another week, another month, another year. Every year seems to get better as we learn more Swahili and begin to understand the culture more and more as well. It takes time and commitment. We also receive a lot of joy from the work that we do. We love sharing our faith with others and helping people grow in their faith and knowledge of the Bible. I also really enjoy working with the women at Mama wa Nuru. It gives them so much confidence to learn new things and for them to see their talents and ability to earn income and help their families. Some of these women used to ask me for money, now they ask me for work. This is a huge accomplishment in my eyes. They can earn money for themselves which impowers and enables them in so many ways. Seeing this progress and my husband seeing his students grow in their faith and knowledge really gives us a lot of energy to keep going as well. Progress might seem slow going at times, but it’s there and we are thankful to see it!
Wiebke: How do your kids adapt to the life in Lindi? What are the main challenges when living in Lindi as a family with children compared to a life you would be living in America?
Lauren: This might be one of our biggest struggles in this season of life. Our oldest son is now four and though he has lived in Lindi longer than he has lived in America now, he still faces challenges. Just as much as we feel like outsiders at times, I think our son feels this way as well. He looks different, speaks a different language, and has more than most in our community. He does really well when we have one or two children at our home. It gives me a chance to communicate and help him to communicate with his visitors. Most of the time though, one or two kids at our house can multiply to 10 or more very quickly. I think this can be overwhelming at times. I believe he is learning though and it will take time but I hope that he can have some good local friendships in the future. He also attends a local pre-school which gives him opportunity to play with other children. We are very thankful that he is accompanied there by your son Kalle. Their friendship has been so helpful to Si! Both of our boys love the simplicity of life here. They have a nice big yard to run around in, plenty of space to be kids and so many great things that they get to see and experience. They love the ocean and the times when we get to see wildlife. In America I feel we might have many more distractions and obligations as a family. Everyone seems to have their children involved in a million activities. Activities are great, but sometimes I think a more simple life without so much busy-ness can be good for a child and their creativity. I do miss the ease of friendship for my children though. When we are in America it is effortless for my kids to play with others, which is much different than here.
Wiebke: How is your work accompanied by people in Texas? Do you have regular contact to your home church? How do people in Texas see your work in Lindi – which kinds of reactions do you get when you are home?
Lauren: As of now we do not host teams of people or volunteers from Texas. We hope that this will be an opportunity in the future. We are in the beginning stages of building a school and we believe this will be a great way for our community back home or other volunteers to get involved. Our community back home does pray for us and give to us financially. Most of our financial support comes from our home church as well as 3 other churches. We send out newsletters about every three months and we also have a facebook page. When we go home we spend a lot of time traveling to different churches and speaking about our life in Lindi. People are really encouraged by the work God does through us here and they love to hear about how God is moving in different parts of the world. Its always an encouraging time for us to be home!
Wiebke: Thank you very much for this insight!
(w)
Further Reading / Zum Weiterlesen
Homepage von Serving in Mission (SIM)
Artikel über Familie Shimizu in „SIM heute“ (Schweiz) 01/2010
Homepage von „Missionare auf Zeit“, weltwärts Entsendeorganisation für junge Freiwillige
Über das Essen
I got a passion for fast-food /
its undeniable /
I like my food fried until /
Everything be the same shade/
Of gold and brown
Abdominal (feat. DJ Format)*
Zu Beginn des Ramadan, dem muslimischen Fastenmonat, geht es heute um etwas Fundamentales: Essen! Der allergrößte Teil der Bevölkerung in Lindi fastet seit dem 17. Mai von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, Kinder beginnen ab etwa sieben Jahren. Das heißt, dass sowohl nichts gegessen, als auch nichts getrunken werden darf. Vor allem Letzteres ist für uns bei hiesigen Temperaturen schlicht unvorstellbar. Auch die körperliche Arbeit, die die meisten Menschen tagein tagaus leisten (müssen) ist ja gleichbleibend (landwirtschaftliche Flächen bearbeiten, Wasser tragen, Wege zu Fuß zurücklegen, Wäsche mit der Hand Waschen, Haus-/Straßenbau ohne Maschinen u.v.m.), so dass wir uns wirklich fragen, wie die TansanierInnen ihre Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten. Genau wie vor ziemlich genau einem Jahr, als wir im Mai 2017 zum ersten Mal in Lindi ankamen, werden viele der kleinen Straßenküchen also nun für vier Wochen erst nach 18:00 angefeuert und es gibt tagsüber kaum Essen auf der Straße.
Fragt man unsere Kinder, was sie aus Deutschland vermissen, so fallen, nach Verwandten und FreundInnen, eigentlich unmittelbar Begriffe aus der kulinarischen Ecke: Brezen, (Gouda)käse, Gelbwurst, Wienerle, Obstquark, Spinat, „richtiges Brot“, drei im Weckla… Nun soll es aber im Folgenden nicht darum gehen, was es hier NICHT gibt, sondern viel mehr darum, was seit einem Jahr alternativ auf unserem Speiseplan steht. Der Einfachheit halber sortiere ich nach Tageszeiten und versuche auch, einen kleinen Einblick in Essen und Essensgewohnheiten der lokalen Bevölkerung zu geben, soweit wir sie bislang mitbekommen haben:
Frühstück
Unser gewohntes Müslifrühstück haben wir uns mittlerweile erfolgreich zusammengebastelt: es gibt (oft) Haferflocken, Cornflakes und Weetabix zu kaufen, auf dem Markt Rosinen und tonnenweise Cashewnüsse. Dank Philipps regelmäßiger beruflicher Verpflichtungen in Dar es Salaam waren wir die letzten Wochen sogar mit einem fertig gemischten Müsli versorgt. Milch kann man kriegen, jedoch kostete der Liter (nicht bio) knapp 2 Euro (so viel wie ein halbes Huhn). Yoghurt gibt es aus Iringa; das liegt im bergigen Hochland ca. 1000 km nordwestlich von Lindi. Obst dazu ist aktuell, zum Ende der Regenzeit, kein Problem: Ananas, Mango, Papaya, Bananen, Wassermelonen, … gibt es in Hülle und Fülle. Das wird sich in der Trockenzeit wieder ändern.
Viele TansanierInnen in Lindi frühstücken nicht, bevor sie morgens das Haus verlassen. Sie essen in Gesellschaft in einer der Straßenküchen – typischerweise Fleischsuppe mit Chapati oder Bohnen mit Chapati – einige Zeit nach Arbeitsbeginn (ganz grob gesagt zwischen 8:00 und 11:00). Die Kinder in Ronjas Schule bekommen gegen 10:00 eine Tasse Tee und ein Brötchen und auch unser Gärtner Hamisi und Mama Fatuma machen gegen 10:00 Pause mit Snack und Tee.
Mittagessen
Die Kinder und ich essen mittags, sobald Ronja aus der Schule kommt (gegen 12:30). Unsere Haushälterin Mama Fatuma kocht unter der Woche das Mittagessen und hat es mittlerweile absolut raus, was beliebt ist (Popcorn) und was eher nicht (Kochbananen). Das Angebot ist generell regional und saisonal bestimmt – die Nachfrage regelt ganz klar das Angebot. Wir essen mittags also unter anderem Ughali (eine Art Polenta aus Maismehl), Reis, Bohnen, Mchicha (eine Art Spinat), Mchuzi (Tomatensoße mit Kokosmilch und variierendem Gemüse), Chipsi Mayai (Pommes im Spiegelei – die Kinder lieben es!), Chapati, Nudeln, Tomatensalat und Fisch. Aktuell gibt es jede Menge leckere Kürbisse und das ganze Jahr über (bzw. gegen Ende der Trockenzeit eigentlich nur noch) Cassavawurzeln, die man sowohl frittiert als auch gekocht essen kann. Regelmäßig kommen mobile Fischverkäufer vorbei, bei denen wir frischen Fisch bekommen. Hühner kauft man lebendig, z.B. bei unseren Nachbarn. Generell wird eigentlich jedes Gericht mit Kokos gekocht. Das Kokosfleisch hierfür wird mit einem speziellen Gerät aus der Kokosnuss ausgekratzt – Mats sitzt gerne bei Mama Fatuma, wenn sie das macht, und klaut sich die Kokosraspeln.
Das Mittagessen hat für die TansanierInnen einen geringeren Stellenwert als für uns: viele Erwachsene essen den Tag über (nach dem späten warmen Frühstück zwischen 8 und 11) nichts mehr. In Ronja´s Schule gibt es um 13:00 für jeden einen Teller Reis mit Bohnen. Das aufwändigste Essen des Tages findet abends statt.
Abendessen
Bei uns auch „Abendbrot“… Um Körnerbrot zu vermissen, muss man nicht bis Tansania reisen – da reicht auch die Fahrt über die deutsche Grenze, eigentlich ziemlich egal in welche Richtung. Nun gibt es in Lindi durchaus Brot zu kaufen, dieses würde jedoch in Deutschland bestenfalls als helles Toast durchgehen. Wir haben also ziemlich schnell angefangen, selber Brot und Brötchen zu backen, was nach einer kleinen Annäherungsphase an den Gasherd mittlerweile auch super klappt. Was kommt aufs Brot drauf? Gesalzene Margarine gibt es in Hülle und Fülle, seit Anfang Mai sogar Butter! Derselbe indische Händler verkauft seit kurzem tatsächlich auch Käse – 1kg tiefgefrorenen Cheddar aus Neuseeland bekommt man für schlappe 28 Euro (entspricht 70.000 tansanischen Shilling; durchschnittliches Monatsgehalt eines ungelernten Arbeiters: 200.000 TSH). 1,8 kg Le Gruyere aus der Schweiz kann man in Dar es Salaam für 137 Euro kaufen – der Preis spiegelt ein Stück weit den Beschaffungsaufwand wider, was bei vielen Nahrungsmitteln in Deutschland meiner Meinung nach nicht gegeben ist. Zur Freude der Kinder schafft es Nutella (im flüssigen Zustand) bis nach Lindi (das bringt einen zum Nachdenken, wenn man bedenkt, was es alles nicht bis nach Lindi schafft), das haben wir allerdings nicht konstant im Haus.
Für die TansanierInnen ist das Abendessen das aufwändigste Essen des Tages. Es gibt generell warme Speisen (sehr beliebt: Pilau, Gewürzreis mit u.a. Zimt und Kardamom) und die Tatsache, dass wir von „nur Brot“ abends satt werden führt regelmäßig zu Kopfschütteln – die ersten Monate fragte Mama Fatuma generell, was sie für abends kochen sollte, bevor sie nach Hause ging.
Manche der tansanischen Familien, die wir bislang kennengelernt haben, essen nicht wie wir am Tisch, sondern sitzen zum essen auf dem Boden und essen von einer gemeinsamen Schale. Gegessen wird in diesem Fall nicht mit Besteck, sondern mit den Händen, was uns vor verschiedene Herausforderungen stellt. Zum einen ist das Essen natürlich heiß (Finger verbrennen beim Essen führt zu großer Erheiterung bei den Gastgebern), zum anderen geht unter Umständen das ein oder andere auf dem Weg zum Mund verloren, wenn man eigentlich Besteck gewöhnt ist. Mats kommt dieses Vorgehen allerdings sehr entgegen.
Street Food (oder auch „frittierte Kohlenhydrate zum mitnehmen“)
Zu unserer großen Freude gibt es (wenn nicht gerade Ramadan ist) eine Vielzahl von Möglichkeiten, unterwegs und unkompliziert günstiges Essen zu kaufen. Ein sehr typisches und an jeder Ecke erhältliches Essen ist „Mandazi“ (auch „Suaheli Brötchen“ oder „Ostafrikanischer Doughnut“) – ein frittiertes Gebäck, am ehesten zu beschreiben als Krapfen (oder „Berliner“) ohne Marmelade und Puderzucker. Ebenfalls in die frittierte Ecke gehören die Samosa, mit Gemüse und/oder Fleisch gefüllte Teigtaschen aus Indien. Auch Chipsi Mayai bekommt man an jeder Ecke – Pommes, die in speziellen kleinen Pfannen in Rührei eingebacken werden. Weiterhin kaufen wir regelmäßig Chapati, Fleischspieße und Chicken, um es mit nach Hause oder auf eine Autofahrt zu nehmen. Sehr praktisch bei längeren Autofahrten sind die Verkäufer mit Cashew Nüssen, die generell am Straßenrand auf Kundschaft warten. Beliebtes Street Food ist außerdem die Cassava Wurzel, im essbaren Zustand „Mihogu“ genannt. Sie wird in Sonnenblumenöl frittiert oder gekocht und mit Salz gegessen. Tansania steht laut Agrarstatistik der FAO von 2016 mit 5,5 t jährlich an Platz 11 der größten Cassavaproduzenten weltweit (im spanischsprachigen Lateinamerika spricht man von „Yuka“, im Ursprungsland der Pflanze Brasilien, Argentinien und Paraguay von „Mandioca“).
Einkaufen (von der Hand in den Mund)
Gekocht wird so gut wie ausschließlich aus frischen Zutaten. Die Mehrheit der Häuser ist ohne zuverlässigen Stromanschluss und ohne Kühlschrank, so dass alles, was zum kochen benötigt wird, unmittelbar vorher eingekauft oder geerntet wird. Übrigbleibendes Essen aufzubewahren ist für hiesige Verhältnisse wirklich ungewöhnlich und geht in unserem Haus so richtig gut auch erst seitdem wir die leistungsstarke Solaranlage auf dem Dach reparieren lassen konnten, die seitdem übernimmt, wenn der staatliche Strom in ca. 50% der Zeit nicht da ist. Problem bei der Vorratshaltung ist – neben der fehlenden Kühlmöglichkeit – das Ungeziefer. Die Häuser sind an allen Ecken und Enden offen (keine Fensterscheiben, Türen generell offen, vielfach keine Zimmerdecken), so dass Mäuse und Ratten ein und aus gehen. Krabbeltiere (Ameisen etc.) sind eh an der Tagesordnung, so dass das Aufbewahren von Nahrungsmitteln zur Herausforderung wird. Einfacher ist daher: Was gekocht wird, wird im Vorfeld gekauft und anschließend gegessen. Fertiges Essen ist somit nicht konstant verfügbar (nach dem Motto Kühlschrank auf, Yoghurt raus) und etwas sehr Besonderes. Das merken wir vor allem an den Kindern, die zum spielen zu uns kommen und gerne zugreifen, wenn wir Obst oder Kekse auspacken. Ein Kollege von Philipp sagte kürzlich zu mir (nachdem ich eine Einladung zur Teepause dankend abgelehnt hatte): „Wir haben hier eine chronische Nahrungsmittelknappheit in Afrika – wenn es Essen gibt, dann essen wir es!“
Wenn nicht selbst geerntet so werden die Nahrungsmittel auf dem Hauptmarkt im Stadtzentrum oder bei kleineren Obst- und Gemüseständen eingekauft. Zusätzlich gibt es verschieden große „Tante Emma Läden“, die von Spül- und Waschmittel über Zucker und Salz, Reis, Nudeln und Bohnen, Schuhputzzeug, Besen, Küchenutensilien und oftmals ein paar Bahnen Stoff alles führen, was man zum Leben braucht. Dazu kommen indische Händler, die vor allem indische Lebensmittel anbiete, denn bis Mitte der 60er Jahre lebten schätzungsweise 15.000 indisch stämmige Menschen in Lindi – heute sind es deutlich weniger, aber es gibt immer noch eine große indische Gemeinde sowie einen Hindutempel. Mitte April 2018 eröffnete ein Supermarkt einer überregionalen Kette in Lindi, der aktuell kontinuierlich seine Regale füllt. Die Produktpalette bleibt abzuwarten!
Dass Lebensmittel entweder selbst angebaut oder auf dem Mark für den jeweiligen Tagesbedarf gekauft werden hat den großen Vorteil, dass kaum Verpackungsmaterial anfällt. Dies passt wiederum zum aktuellen Müllmanagement in Lindi – alles, was nicht in irgendeiner Form weiterverwendet werden kann wird privat verbrannt. Die Zukunft dieses Themas bleibt abzuwarten – wenn sich parallel zum neuen Supermarkt und dem deutlich anderen Warenangebot (Windeln, Konservendosen, Sprühdeos, …) nicht auch die städtische Müllabfuhr entwickelt kann ich mir aktuell nicht vorstellen, wo die neuen Mengen und Sorten von Müll bleiben werden.
Und was wollen wir trinken?
Während der Regenzeit (Februar – Mai) gibt es kein Wasserproblem – Alle fangen das Regenwasser in mehr oder weniger professionellen Regenrinnensystem auf (je nach Finanzkraft gibt es Regenwasserreservoirs von bis zu 50.000 Liter) und füllen Tanks und Eimer damit. Auch wir haben einen 3.000 l Regenwasssertank am Haus nachgerüstet, der sich regelmäßig füllt. Das Wasser fließt dann per Pumpe in den Hochtank und von dort aus ins Haus.Nun neigt sich die Regenzeit aber dem Ende zu und spätestens im Juni ist sie dann ganz vorbei. In der Trockenzeit holen die Menschen in Lindi ihr Wasser aus Brunnen, die es in der Stadt an vielen Ecken gibt. In den Bereichen, wo kein Grundwasser erreichbar ist (wie zum Beispiel in unserem Stadtteil Mitwero) müssen die Menschen für ihr Wasser sehr weit laufen, oder aber Wasser kaufen. Wir trinken sowohl das Regenwasser als auch gekauftes Wasser ausschließlich nach Durchlaufen durch unseren Keramikfilter; die Einheimischen trinken das Wasser auch ohne Vorbehandlung. Wenn auswärts gegessen wird gibt es in der Regel „Soda“, also Softdrinks wie Fantavariationen u.ä. Alkohol wird wenig konsumiert. Bier in Kästen gibt es an genau einer Stelle in der Stadt zu kaufen und die Staubschicht auf den Flaschen zeugt von eher längeren Lagerzeiten. Frische Fruchtsäfte gibt es für unseren Geschmack in Lindi zu selten, betrachtet man das vielfältige Obstangebot. Zu Hause machen wir regelmäßig Maracuja-, Orangen-, Ananas- und Mangosaft.
Neben Wasser, Bier und Fruchtsäften sind wir auf eine gewisse Menge an Koffein täglich angewiesen – die lokale Variante mit Instant-Kaffepulver machen wir nur in Notfällen mit. Wir führten mehrere Field-Researches durch und kuckten uns von Anfang an die System der verschiedenen anderen ausländischen Familien an, um richtigen Kaffee zu kochen. Mittlerweile haben wir einen optimalen Weg gefunden: 92°C heißes Wasser durch einen Edelstahlfilter mit leckerem Kaffeepulver aus Dar es Salaam. Keep it simple! Und der Kaffee schmeckt!
Zusammenfassend finde ich, dass wir eine gute Mischung aus dem lokalen Angebot mit Altbekanntem gefunden haben. Vor allem in der ersten Zeit war es für die Kinder wichtig, bei all der neuen Umgebung mittags am Essenstisch nicht mit noch mehr extrem Neuem konfrontiert zu werden – mittlerweile essen sie Ughali mit den Händen wie die Profis, spielen Chapati rollen statt Pfannkuchen machen und freuen sich weiterhin über Pudding aus mitgebrachtem Puddingpulver. Und eins ist gewiss: in unseren zwei Wochen Deutschlandurlaub Anfang Juni werden wir so viele Eisbecher essen wie möglich – dem Eis in Lindi merkt man die ständigen Stromausfälle eindeutig zu sehr an…
(w)
Zum Weiterlesen
Mandazi-Rezept: http://robinson-im-netz.de/kenia-mandazi/
Chapati-Rezept: http://www.hannastoechter.de/afrikanisches-chapati/
Infos zu Cassava: http://www.pflanzen-forschung-ethik.de/konkret/cassava.html
Tagesausflug nach Mikindani
Heute kommt ein kleiner Einblick in unser letztes Wochenende! Nachdem Philipp nach fast vierzehn Tagen Reise (Fortbildung für 64 Krankenschwestern in Kilwa, WHO Konferenz in Uganda) wieder zurück nach Lindi kam feierten wir zunächst seinen Geburtstag und machten heute einen Tagesausflug nach Mikindani,90 km südlich von Lindi und laut Reiseführer (Loose, Stefan 2014: Tansania) „ein wahres Juwel tief im Süden“. Dies lässt aufhorchen, da unser Reiseführer die Region, in der wir aktuell leben ansonsten eher launisch schildert: „Je weiter südlich man fährt, desto stärker wird das Gefühl, in einem einem längst vergessenen Niemandsland unterwegs zu sein. (…) Heute gibt es in der Gegend von Lindi weder Industrie noch eine nennenswerte Agrarwirtschaft (…) Einige Missionare, Lehrer und Ärzte karitativer Organisationen halten unbeirrt die Stellung. (…) Für Touristen hat der Ort kaum Bedeutung, außer als Zwischenstopp zum Einkauf von Gemüse.“ (Loose 2014, S. 242f).
Mikindani war im 15. Jahrhundert – wie zahlreiche weitere Häfen an der Swahili Küste – ein bedeutender Umschlagplatz für Elfenbein, Sklaven und andere Waren. Es verfügt über einen gut geschützten Naturhafen und war somit Anlaufstelle für arabische und indische Handelsschiffe. Eine Gedenktafel im Ort erinnert heute an Livingstones letzte Reise auf der Suche nach den Quellen des Nils, die 1866 in Mikindani begann. In den 1880er Jahren erreichten die Deutschen Mikindani, bauten einen Verwaltungssitz („Boma“) sowie Befestigungsanlagen und verschifften die Agrarerzeugnisse des Umlandes (v.a. Sisal, Kokosnüsse, Kautschuk) nach Deutschland. Auch der Sklavenhandel wurde wieder aufgenommen.
Mit dem Bau von Mtwara (10 km südlich von Mikindani) wurden alle wichtigen Einheiten dorthin verlegt und Mikindani verlor (ebenso wie Lindi) schlagartig an Bedeutung. Der ehemalige deutsche Verwaltungssitz von 1895 wurde nach aufwendiger Restauration 2001 als Hotel eröffnet und gilt heute als das beste Hotel Südtansanias. Für uns ist es ein willkommenes Ausflugsziel. Die Kinder (und wir) lieben mittlerweile bereits die Fahrt dorthin, den Pool, das leckere Essen, Milcheis zum Nachtisch und die vielen Affen, die in den Palmen rund um den Pool herumturnen.
Ein willkommener Unterschied zu Lindi ist die Selbstverständlichkeit, mit der man dort als AusländerIn begrüßt und behandelt wird. Durch die Vielzahl an Touristen und Tagesgästen ist man als „mzungu“ keine Sensation sondern Normalität, die wir in Lindi oft vermissen. So trifft man in der Regel auch zufällig Bekannte. Heute: ein holländisches Paar, Pim und Inge aus Nijmegen, mit ihrem dreijährigen Sohn Mess, die zur Zeit als Ärzte im St. Walburgs Krankenhaus in Nyangao, 75 km südwestlich von Lindi arbeiten. Außerdem machten wir Bekanntschaft mit einem französisch/britischen Paar, dass vor zwei Tagen aus Costa Rica nach Tansania kam und nun überlegt, eine aktuell stillgelegte Tauchbasis in Mikindani, das eco2 Dive Center, zu kaufen und mit neuem Leben zu füllen. Eine spannende Entwicklung, die wir sicher weiter verfolgen werden! Außerdem fand dann noch die Jahrestagung deutscher christlicher MissionarInnen statt (Schwerpunkt Mbesa) – in kürzester Zeit füllte sich die Poolregion am Nachmittag also mit deutsch sprechenden Menschen, was wir regelrecht verwirrend fanden. Gegen 18:00 traten wir den Rückweg an, um nicht zu lange in der Dunkelheit unterwegs zu sein.
(w)
Zum Weiterlesen:
- Über die Kolonialgeschichte:
https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/projekte/kolonien/deutsch-ostafrika/ - Speziell: Küsten in der Kolonialgeschichte:
http://deutsche-schutzgebiete.org/ostafrikanische-kuestenbilder/ - Über die Deutsche Mission in Mbesa:
hier und hier
Bastelstunde bei Sister Clara
Good morning, good morning, good morning everyone!
I am so happy to see you, good morning everyone!
Good morning to the sunshine, good morning to the rain!
Good morning to whatever the day may bring!
Good morning Song (traditional)*
Heute kommt ein kleiner Eindruck von einer Bastelrunde, die ich am letzten Tag vor den Osterferien bei Kalle in der Vorschule gemacht habe. Nach Absprache mit Lehrerin Sister Clara blieb ich am Freitag vor den Ferien den Vormittag über dabei und bastelte mit Ronja´s Unterstützung (ihre Schule hatte bereits am Tag davor die Ferien eingeläutet) Ballons für einen zukünftigen Geburtstagskalender im Klassenraum. Nach einer internationalen Sing- und Tanzrunde („Good morning song“, „Ich hab Hände sogar zwei“, Simama kaa, „A ram sam sam“…) ging es an die Stifte! Es war recht offensichtlich, dass die Kinder bislang wenig bis nichts mit Wachsmal- und Buntstiften zu tun hatten und es machte Spaß zu beobachten, wie sie diese neuen Medien entdeckten und stolz über die Ergebnisse waren. Die kommenden zwei Wochen sind nun also Osterferien. Wir werden die erste Woche in Lindi verbringen (Philipp muss normal arbeiten) und in der zweiten Woche für einige Tage in die Nähe von Dar es Salaam fahren. Euch allen wünschen wir frohe Ostern und außerdem schöne Ferien allen die frei haben!
(w)
Wenn Deutschland kolonialisiert worden wäre
„Wahrscheinlich würden unsere traditionellen kulturellen Praktiken, wie zum Beispiel junge Mädchen während der Karnevalssaison als Tanzmariechen in knappen, ihre Unterwäsche preisgebenden Kostümen auftreten zu lassen, als barbarisch und frauenverachtend, mindestens aber als lächerlich und rückständig gelten. In einigen Gegenden wären sie gesetzlich verboten.“
(„Wenn Deutschland kolonialisiert worden wäre“, Aram Ziai, 26.07.2017, Frankfurter Rundschau)
Heute ein kurzer Beitrag oder vielmehr Gedankenanstoß zu einem gefühlt riesigen, unglaublich schwer (vielleicht unmöglich) zu umfassenden Thema, das uns hier immer wieder von unterschiedlichen Blickwinkeln aus beschäftigt und das wir regelmäßig untereinander und auch mit anderen AusländerInnen in Lindi diskutieren. Es geht um die Frage nach dem Sinn oder Unsinn von Entwicklungszusammenarbeit, deren Ausgestaltung, Motivation, Ursprung, …. Ich fühle mich nicht im Stande, mich abschließend dazu zu äußern habe aber einen hochinteressanten Artikel von Aram Ziai (Professor der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien) gefunden, den ich gerne mit allen Interessierten teilen möchte.
Der Artikel kann hier abgerufen werden: http://www.fr.de/kultur/entwicklungspolitik-wenn-deutschland-kolonialisiert-worden-waere-a-1320125
Auch die komplette Antrittsvorlesung zur Heisenberg-Professur von Aram Ziai ist überaus lesenswert:
http://www.uni-kassel.de/fb05/fileadmin/datas/fb05/FG_Politikwissenschaften/
Entwicklungspolitik/Antrittsvorlesung_Aram_Ziai.pdf
Ein weiterer Beitrag von Aram Ziai von 2016 findet sich hier: http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/rassismus-der-kolonalismus-in-unseren-koepfen-a-367880
Und für alle, die Lust haben auf neue (kartographische) Perspektiven kann ich als große Kartenfreundin folgende Weltkarte empfehlen – inklusive Begleitheft zum Einsatz in der Bildungsarbeit. Die Karte hängt auch bei uns in Lindi im Wohnzimmer und verwirrt regelmäßig BesucherInnen:
Zum Weiterlesen und Schauen:
Weltkarte als Plane zum Ausleihen:
www.engagement-global.de
Begleitheft zur Weltkarte:
Link zum PDF
Beitrag von TTT vom 25.03.18 zum Thema Benin-Bronzen als Raubkunst:
ARD Mediathek
Facebook-Gruppe „Berlin Postkolonial“ mit vielen Beiträgen und Links zum Thema:
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(w)
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Shuleni
I can see you in the morning
when you go to school
Supertramp*
Nach neun Monaten in Tansania wage ich mich nun an ein Thema, was uns schon vor unserer Ausreise schwer beschäftigt hat. Ich versuche in diesem Beitrag – wie auch in allen anderen – möglichst wertfrei beschreibend zu bleiben, was besonders bei diesem Beitrag nicht leicht fiel, da er ein für uns elementares und emotionales Thema behandelt. Und natürlich beschreibe ich u.a. vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen, Prägung und kulturell bedingter Wertvorstellungen (Shuleni = in der Schule, zur Schule).
Bereits in Philipps Stellenausschreibung hieß es, dass der Standort Lindi für Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter nur bedingt (bzw. eigentlich gar nicht) zu empfehlen sei und auch von der deutschen Familie, die hier unmittelbar vor uns und ebenfalls mit zwei Kindern in Lindi lebte hatten wir viel zum Thema Schule gehört. Unter anderem war in dieser Vorgänger Familie die Mutter mitsamt den Kindern nach einiger Zeit von Lindi aus nach Daressalam umgezogen, damit die Kinder dort eine internationale Schule besuchen konnten.
Mit den Möglichkeiten für die Schulbildung in Lindi waren sie aus verschiedenen Gründen nicht zufrieden gewesen. Nach viel Kopfzerbrechen und abwägen hatten wir uns schließlich dennoch für den Umzug nach Tansania und i.B. Lindi entschieden und uns vorgenommen, die Schulsituation als Herausforderung zu sehen. Homeschooling (wie in den mittlerweile kennengelernten amerikanischen Missionarsfamilien hier üblich) wollten wir wenn möglich vermeiden, damit die Kinder regelmäßigen und alltäglichen Kontakt zu lokalen Kindern haben.
Mittlerweile kann ich sagen, dass die Schul- bzw. Vorschulsituation für Ronja und Kalle sich absolut positiv entwickelt hat und ich mich in der Lage fühle, einen kleinen Einblick zu geben!
Ronja – Joy School
Ronja besucht seit Juli 2017 die einzige englische und multi-regligiöse Privatschule, die es in Lindi gibt. Das jährliche Schulgeld liegt derzeit bei 900.000 tansanischen Schilling, was in etwa dem vierfachen Monatsgehalt eines ungelernten Arbeiters entspricht. Es gibt anscheinend genügend Familien, die sich dieses Schulgeld leisten können, denn die zur Zeit sechs Klassen der Schule sind allesamt voll. Sie liegt praktischerweise in Mitwero, also dem Vorort, in dem auch wir wohnen, ca. 3 km von unserem Haus entfernt.
Die Besitzerin der Schule, Alice Kituku, ist Kenianerin und hat das Land für diese Schule bereits 2010 in weiser Voraussicht in diesem mittlerweile sehr beliebten Vorort von Lindi erworben. Bis dato führte sie eine kleine Vorschule in ihrem Garten in Lindi Downtown, hatte aber stets den Traum eine richtige Vor- und Grundschule zu eröffnen. Mittlerweile gibt es Klassenräume für sechs Klassen, zwei weitere Klassenräume befinden sich aktuell im Bau und im kommenden Jahr sollen eine Bibliothek sowie ein Computerraum folgen.
Der Schulleiter, Mister Said (gebürtig aus Pemba, Tansania und vor einem Jahr für seine Schulleiterstelle nach Lindi gezogen) wohnt mit seiner Familie direkt neben dem Schulgelände. Alice ist eine ambitionierte und hart arbeitende Frau. Zusammen mit Schulleiter Mr. Said überwacht sie jeden Schritt der Bauaktivitäten, und kümmert sich um so gut wie alles persönlich – von der Essensausgabe über die Akquise von Schulbüchern, Schuluniformen, Schulbusse, neue LehrerInnen, und und und…
Wir empfinden es als eine außerordentlich herausragende Leistung, ein so großes Projekt in einer durchaus herausfordernden Umgebung zu stemmen und am Laufen zu halten. Das Interesse und Engagement von Seiten der Eltern erleben wir (im Vergleich zu Erfahrungen in Deutschland) als eher gering. Dies resultiert schon allein aus logistischen Aspekten wie der Tatsache, dass alle Kinder mit Schulbussen zur Schule hin und wieder nach Hause fahren. Somit sind Eltern generell wenig an der Schule selber präsent.
Die Unterschiede zu den staatlichen Schulen sind vielfältig und grundlegend: Die Kinder der Joy School müssen das Schulgebäude und Außengelände nicht selber putzen. Im Gegensatz dazu sehen wir die Kinder der staatlichen Schulen generell mit einem selbstgebauten Besen in der Hand zur Schule laufen (keine Schulbusse!), denn Geld für Reinigungspersonal gibt es nicht. Die Anzahl der LehrerInnen pro SchülerIn ist ebenfalls grundsätzlich verschieden. In den staatlichen Schulen ist es gängig, dass eine Lehrkraft für drei verschiedene Klassen zuständig ist und somit grundsätzlich bis zu 60 Kinder sich selbst überlassen sind. Die Schulgebäude selber könnten ebenfalls nicht unterschiedlicher sein. Das Schulgebäude der Joy School ist sehr neu und gut intakt. Alle Fenster sind mit Gittern versehen und es gibt ein dichtes Dach über allen Räumen sowie Toiletten getrennt nach Mädchen, Jungen und Personal (all dies ist in staatlichen Schulen durchaus nicht gewährleistet…).
Die Wände der Joy School sind verputzt und gestrichen, außen mit bunten und lehrreichen Bildern aus den verschiedenen Fächern kunstvoll gemalt. Es gibt zahlreiche englische Kinderbücher (Spenden aus UK), außerdem um 10:00 eine Teepause (Tee und Brötchen für jedes Kind) sowie Mittagessen um 13:00. In den staatlichen Schulen ist es üblich, dass die Kinder um die Mittagszeit rum nach Hause laufen, dort essen und nach dem Essen wieder zur Schule laufen. Für die Sporttage (Mittwochs und Freitags) sowie Pausen gibt es gespendetes Sportmaterial wie Bälle, Springseile, ein Volleyballnetz, Fußballtore und sogar ein Schwungtuch.
Der Unterricht selber findet generell auf Englisch statt. Ab der dritten Klasse gibt es dann ein Schulfach Kiswahili. Die staatlichen Grundschulen funktionieren grundsätzlich auf Suaheli. Problematisch ist dies, da in der weiterführenden Schule (Secondary School) dann komplett auf Englisch unterrichtet und gelernt werden soll. Für die SchülerInnen der staatlichen Grundschulen ein kaum zu bewältigender Wechsel. Problematisch für viele Familien ist – neben der Sprache – die notwendige Grundausstattung der Kinder mit Schuluniformen und Heften sowie Schreibmaterial. All dies wird nicht von den Schulen gestellt, ist aber Voraussetzung für den Schulbesuch, der wiederum durch die Schulpflicht bestimmt wird. Unser Gärtner Hamisi erzählte mir kürzlich eindrücklich von dem Dilemma vieler Familien: Wenn sie ihre Kinder in die Schule schicken, jedoch kein Geld für die Uniform oder Schulhefte haben, werden die Kinder wieder nach Hause geschickt. Wo dann wiederum die Polizei auftaucht, da die Kinder laut Schulpflicht zur Schule gehen müssen…
Graduation
Die Graduation (= Jahresabschlussfeier) fand am 2. Dezember statt und wurde den kompletten November über von LehrerInnen und SchülerInnen aller Klassen vorbereitet. Es wurden Tänze einstudiert und Lieder geprobt, Schuluniformen gewaschen und neue weiße Socken gekauft. Am Tag selber kamen an die 300 Eltern zur Schule und saßen im Schatten der aufgebauten Festzelte, um ihren Kindern bei den Darbietungen zuzuschauen. Leider wurde mit Rücken zur Elternschaft getanzt, so dass die Ehrengäste die Kinder von vorne anschauen konnten. Generell ähnelte die Feier einer Einschulung in Deutschland – besonders geehrt wurden Kinder der Pre-Unit inklusive Ronja, die ab Januar die erste Klasse besuchen.
Corporal Punishment
Ein für uns ganz grundlegendes Problem und fortwährendes Gesprächsthema: Körperliche Bestrafung, „corporal punishment“ (im Folgenden „cp“). Tansania gehört zu den Ländern, in denen körperliche Bestrafung durch Schläge mit einem Stock tatsächlich noch erlaubt ist. Die zugrundeliegende nationale Gesetzgebung kann bei Interesse hier nachgelesen werden.
Dass cp in Tanzania durchaus noch praktiziert wird hatten wir im Vorfeld gehört und natürlich versucht, so viel wie möglich darüber heraus zu bekommen. Eine unserer Informationen war, dass – entgegen der landesweiten Handhabung – die Joy School nach dreijährigem Engagement von Alice und Schulleiter Said in Zusammenarbeit mit einem für VSO tätigen pensionierten britischen Lehrer seit März 2017 neue Verträge mit ihren LehrerInnen macht, die cp explizit ausschließen. Nun berichtete Ronja aber bereits an ihrem ersten Schultag von gegenteiligen Erfahrungen und auch ich selbst sah beim Abholen Kinder, die von einem Lehrer mit einem Stock geschlagen wurden.
Es folgten von unserer Seite fundamentale Zweifel an unserem Aufenthalt hier und sehr emotionale Gespräche mit Schulleiter Said und Alice sowie Telefonate mit den britischen Förderern, die ihrerseits entsetzt waren über die offensichtliche Entwicklung. Waren sie doch erst im März 2017 nach drei Jahren intensiver Zusammenarbeit aus Lindi wieder nach London gezogen. Sie unterstützten die Schule nur unter der Voraussetzung, dass cp hier nicht mehr an der Tagesordnung sei. Es folgte ein verwarnender Brief an Ronja´s Lehrerin, der jedoch keinen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Ronja selber war selbstverständlich niemals betroffen – wir hatten von Anfang an sehr klar gemacht, dass cp für unsere Kinder unter keinen Umständen in Frage kommt und diese Botschaft ist angekommen. Trotzdem erlebte Ronja den Umgang mit ihren MitschülerInnen natürlich tagtäglich und wir sprachen viel über dieses Thema.
Trotz allem mochte sie die Lehrerin, Madam Sesi, sehr gerne und fühlte sich bei ihr in der Pre-Unit wohl. Seit Januar geht sie nun in „Grade 1“ und ihre Lehrerin ist Madam Marcha. Bislang ist cp kein Thema mehr gewesen und Ronja hat uns mehrfach erzählt, dass Madam Marcha bisher noch kein Kind geschlagen habe – wir kennen die Lehrerin aus dem erweiterten Freundeskreis und sind sehr froh über diese Entwicklung für Ronja und ihre MitschülerInnen und hoffen, dass wir durch unsere Präsenz an der Schule und regelmäßige Gespräche mit Schulleitung und Lehrerschaft immer wieder kleine Gedanken und Ideen streuen können.
Wir haben in den letzten Monaten immer wieder intensiv über das tansanische Grundschulsystem wie wir es erleben nachgedacht und gesprochen (und man muss sich immer wieder klarmachen, dass wir unsere Erfahrungen am allerobersten Ende der Fahnenstange machen – staatliche Schulen sind nochmal eine völlig andere Hausordnung). Sowohl Untereinander als auch mit tansanischen FreundInnen, anderen Expats und tansanischen LehrerInnen. Es gibt vielfältige Themen, die relevant sein können, wenn man sich fragt warum cp heute noch tagtäglich eingesetzt wird und wir versuchen, den größeren Kontext zu verstehen. Schulleiter Said sagte zu mir: „Von einem tansanischen Lehrer in Lindi zu verlangen, ohne cp zu unterrichten ist in etwa so, als würde man von einem deutschen Lehrer verlangen, die Kinder ab sofort mit Schlägen zu bestrafen.“ Er selber möchte cp an seiner Schule baldmöglichst komplett abschaffen, sagt aber es brauche Zeit und eine (deutlich bessere) Ausbildung der Lehrer.
Das „Teachers’ College“ dauert anderthalb Jahre, man kann jedoch auch ganz ohne Ausbildung LehrerIn werden. Für GrundschullehrerInnen reicht die erfolgreich abgeschlossene Weiterführende Schule. Entsprechend kurz ist die (wenn überhaupt stattfindende) didaktische und pädagogische Ausbildung der Lehrkräfte; der Stock ist tatsächlich fester Bestandteil dieser Ausbildung. Auch Erfahrungen in der eigenen Schullaufbahn und nicht zuletzt der tägliche Umgang mit Kindern zu Hause in den Familien spielen sicherlich eine Rolle.
Letztendlich ist cp unserer Meinung nach Bestandteil eines von uns beobachteten generellen Umgangs mit Kindern im Bildungssystem, in dem die Kinder selten als kreative, wertvolle, selbstbestimmte und förderungswürdige Personen gesehen werden. Positive Motivation, Kreativität, Eigenverantwortlichkeit, Lernen durch Ausprobieren und Neugierde ist von Seiten der Lehrerschaft nicht vorgesehen und somit nicht Teil des alltäglichen Lernprozesses. Gelernt wird vielmehr durch Wiederholung und Auswendiglernen. Ein Taxifahrer in Daressalam sagte einmal zu uns, er könne sich glücklich schätzen, nie in Tansania zur Schule gegangen zu sein, denn dort lerne man seiner Meinung nach lediglich ein guter Angestellter zu werden.
Die Joy School in Lindi ist mit Sicherheit mit Abstand das Beste, was Kinder in Lindi an Grundschulbildung erfahren können und Alice mit gutem Herzen und voller Energie und Engagement auf einem anstrengenden und vielleicht noch weiten Weg. Wir sind gespannt, welche Entwicklungen wir in der nächsten Zeit dort noch beobachten können.
Zum Thema hier (PDF) ein lesenswerter Leitfaden einer NGO mit Sitz in Uganda, die gegen Corporal Punishment in afrikanischen Ländern aktiv ist.
Kalle – Sr. Clara
Kalle besuchte zunächst die „Nursery-Class“ der Joy School, wo es aber sowohl ihm als auch uns nicht gut gefiel. Zu verschult war uns der Alltag der 2-5 jährigen Kinder, ohne Zeit zum spielen, sich bewegen etc. mit zwei Lehrerinnen, deren Interesse an den Kindern in unseren Augen sehr gering ausfiel. Aus unserer Sicht problematisch war außerdem der Ort der Kindergartengruppe inmitten des normalen Grundschulbetriebes. Kalle sowie alle anderen doch noch sehr jungen Kinder fanden sich somit täglich zwischen 200 Kindern wieder von denen die ältesten 13 Jahre alt sind (die Grundschule in Tansania geht bis einschließlich siebte Klasse). Kalle wusste sich bei dem konstanten Andrang der tansanischen Kinder aus Interesse an seiner Andersartigkeit nicht zu helfen und fand es einfach unangenehm, ständig umringt zu sein. Die Lehrerinnen zeigten wenig Verständnis für seine Situation oder waren nicht in der Lage, die übrigen Kinder in ihrem Verhalten zu beeinflussen.
Seit dem neuen Jahr geht er nun zur St. Andrea Kaggwa Nursery School der Katholischen Gemeinde in Lindi. Auf diese Einrichtung wurden wir dank einer Arbeitskollegin von Philipp aufmerksam und sind sehr glücklich, sie gefunden zu haben! Dort ist Sister Clara zuständig, gemeinsam mit ihr arbeiten noch drei weitere Lehrerinnen in der Nursery School. Es gibt zwei Gruppen: die jüngeren Kindern (3-4 J.) und die älteren Kindern (5-6 J.). Kalle geht zur älteren Gruppe mit insgesamt rund 20 Kindern.
Der Kindergarten befindet sich am wohl schönsten Ort den man sich (neben dem Erlanger Meilwald) für einen Kindergarten vorstellen kann: mit Blick auf den indischen Ozean, ein bisschen oberhalb von Lindi inmitten von Kokos-Palmen und mit konstant angenehmem Wind vom Meer! Die Location an sich ist für Kalle relativ egal – viel wichtiger für ihn waren neben Schwester Clara, die ihn überaus herzlich empfangen hat, vom ersten Tag an die zwei Schaukeln, eine Wippe und eine Rutsche die auf dem Außengelände stehen und benutzt werden dürfen – eine absolute Besonderheit in Lindi! Schwester Clara ist den Kindern sehr zugewandt und freundlich, singt und spielt viel mit ihnen und rennt Freitags (Sporttag) auch mal mit Trillerpfeife im Mund vor ihnen her. Kalle geht absolut gerne hin!
Nach Kalle´s Wechsel schlug uns von vielen Seiten Unverständnis entgegen – die katholische Nursery School sei doch eine kiswahilisprachige Einrichtung und die Kinder würden dort außerdem nicht viel lernen sondern eigentlich nur spielen. In solchen Fällen erklären wir, dass wir uns genau das für unser fünfjähriges Kind wünschen. Es ruft immer wieder Erstaunen hervor, dass in dieser Altersgruppe in Deutschland noch nicht von Schule die Rede ist, geschweige denn Zahlen oder Buchstaben gelernt werden und die Kinder im deutschen Kindergarten bis zu ihrem sechsten Lebensjahr „nur“ spielen. Kalle und ich freuen uns auf alle Fälle jeden Tag aufs Neue auf das „nur spielen“ und Sister Clara sowie die Kinder.
(w)
Zum Weiterlesen:
Facebook-Seite der Joy School: https://web.facebook.com/FriendsOfJoySchool/
Lesenswerter Blog des pensionierten Lehrerehepaars aus UK:
https://tanzaniascorers.wordpress.com/2015/12/01/joy-school/
Nationale Gesetzgebung zu CP:
http://www.endcorporalpunishment.org/progress/country-reports/united-republic-of-tanzania.html
„Raising Voices“, Leitfaden für Schulen die gegen Corporal Punishment aktiv werden möchten (PDF):
http://raisingvoices.org/wp-content/uploads/2013/03/downloads/resources/goodschool_learn_positivediscipline.pdf
Tansanische Presse zum Thema CP:
http://allafrica.com/stories/201611070119.html
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Infos zu den Liedtexten finden sich hier.
Erster Besuch aus Deutschland
I've been havin' some hard travelin',
I thought you knowed
I've been havin' some hard travelin',
way down the roadBob Dylan*
Lange herbeigesehnt, endlich war der Tag da und unser erster Besuch aus Deutschland landete in Mtwara, zwei Autostunden südlich von Lindi!
Es kamen: meine Mutter Marita gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Michaela für knapp zwei Wochen (da beide im Schuldienst tätig sind kamen sie in den nordrheinwestfälischen Herbstferien). Ronja und ich starteten früh um 5:00 gemeinsam mit Mwajuma in Lindi und waren um 7:00 pünktlich in Mtwara, um den einzigen Flug in Empfang zu nehmen, der hier pro Tag landet. Es folgten schöne und intensive Tagen, in denen wir gemeinsam in Lindi unterwegs waren, Ronja´s Schule besuchten, am Strand saßen, im Garten spielten, Geburtstag feierten u.v.m.
Womit wir auch schon beim ersten Highlight wären, Ronjas siebtem Geburtstag! Am Tag selber wurde nach einem gemütlichen Geburtstagsfrühstück in der Schule mit Muffins und Saft und vielen Geburtstagsständchen gefeiert; meine Mutter, Kalle und ich durften dabei sein! Am folgenden Tag begingen wir unseren ersten tansanischen Kindergeburtstag. Der Renner unter den Kindern definitiv: Topfschlagen (frei übersetzt mit „Hit the pot“)! Auch das gemeinsame Bemalen einer Wand beim Autounterstand im Garten fand großen Anklang und wir finden das Ergebnis toll (siehe Fotos)!
Zweites Highlight der zwei Wochen war ein dreitägiger Ausflug nach Kilwa, ein kleines (dreigeteiltes) Dorf an der Küste, gut zwei Autostunden nördlich von Lindi (Google Maps). Wir fünf Bornis hatten hier bereits im September einmal ein gemütliches verlängertes Wochenende verbracht und uns wie im Paradies gefühlt. Auch dieses Mal war es herrlich! Wir übernachteten wieder in der Kimbilio Lodge in Kilwa Masoko direkt am Strand und machten einen Ausflug nach Kilwa Kisiwani, eine vorgelagerte Insel mit lange zurückreichender Geschichte.
Kilwa Kisiwani wurde 1981 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt und stand von 2004 bis 2014 auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes. Um die Hintergründe der einstigen Dominaz der Ruinenstadt Kilwa besser zu verstehen folgt ein kurzer Ausflug in die Geschichte:
Kilwa lag im 1. Jh. n. Chr. am Ende der Silberoute von Mosambik und Simbabwe. Die Insel war außerdem auf Grund der fruchtbaren Erde, außreichender Trinkwasserversorgung und seiner isolierten Lage für eine Besiedlung perfekt und wurde so zu einem zentralen Handelspunkt für Gold, Elfenbein, Perlen, Parfums, persische Keramik und chinesisches Porzellan. Seine Blütezeit erlebte Kilwa vermutlich vom 13. bis 16. Jh. im präkolonialen Höhepunkt der Swahili-Kultur: Kilwa war vermutlich die zu dieser Zeit mächtigste Stadt der Swahili-Küste. Die meisten heute zerfallenen Prunkbauten aus Korallenstein stammen aus dieser Zeit.
Die Portugiesen, die nach der Landung Vasco da Gamas 1502 die Küste an sich gerissen hatten bluteten die Stadt regelrecht aus. In kurzer Zeit ließen sie ein Fort errichten, verließen Kilwa jedoch nach nur acht Jahren Besatzung bereits wieder, da die großen Handelsstädte Malindi und Mombasa in Kenia strategisch wichtiger waren. Die wirtschaftliche Bedeutung der ostafrikanischen Küste schwand in kurzer Zeit und die arabischen Omanis hatten leichtes Spiel, als sie Kilwa 1700 besetzten. Die Einwohner der Insel Kilwa Kisiwani wurden aufgefordert, die Insel zu verlassen und auf dem Festland neue Siedlungen zu gründen (die bis heute bestehenden Ortsteile Kilwa Masoko und Kilwa Kivinje). 1770 erlangte Kilwa seine Unabhängigkeit zurück und wurde von nun an von den Sultanen von Sansibar regiert. Durch Sklaven- und Elfenbeinhandel blühte die Stadt im 18. und 19. Jh. erneut auf. Über Kilwa gelangten im Folgenden Abertausende versklavte Menschen aus Südtansania, Malawi und Mosambik auf die Zuckerplantagen der Maskarenen (850 km östlich von Madagaskar gelegene Inselkette).
Besonders beeindruckt waren wir auch bei diesem Besuch wieder von der Großen Kuppelmoschee. Sie stammt ursprünglich aus dem 11. Jh. und wurde als größte Freitagsmoschee Ostafrikas stets gepflegt und mehrmals renoviert sowie erweitert. Sie diente bis ins beginnende 19. Jh aktiv als Gebetshaus.
Die Insel wird heute von etwa 1.300 Menschen bewohnt, die umgeben von den historischen Stätten unter einfachsten Bedingungen, ohne Strom und fließendes Wasser leben. Ein 800 Jahre alter und überaus eindrucksvoller da sehr großer und tiefer Brunnen ist bis heute in Betrieb und wird von allen InselbewohnerInnen als Wasserquelle benutzt. Im Rahmen von Restaurationsbemühungen war vor einigen Jahren durch die Unesco ein zweiter Brunnen gebohrt worden, der mit Hilfe einer Pumpe die Wasserversorgung für die Rennovierungsarbeiten erleichtern sollte – nur etwa 10 Meter entfernt vom historischen Brunnen und dennoch kam hier ausschließlich Salzwasser an die Oberfläche. Somit wird bis heute ausschließlich der historische Brunnen benutzt.
Nach „Entdeckung“ der historischen Stätten durch die Unsesco, die Bemühungen verschiedener europäischer Geldgeber und der Fertigstellung der asphaltierten Straße von Daressalam aus nach Süden gab es einen kurzen Anstieg der Touristenzahlen. Der erwartete große Aufschwung blieb allerdings aus, so dass es heute zahlreiche zur Hälfte fertig gestellte Lodges entlang des paradiesischen Strandes gibt. Auch das Tauch- und Schnorchelzentrum ist nach Aussagen des lokalen Mangers unserer Lodge seit fünf Jahren nicht mehr in Betrieb, da die Gäste ausbleiben.
Zurück in Lindi (Philipp blieb beruflich noch bis Ende der Woche in Kilwa) nutzten wir die verbleibende Zeit unter anderem mit Besuchen bei der Schneiderin und im Stoffladen.
Die Zeit mit meiner Mutter und Tante war wunderschön und hat uns gezeigt, wie viel wir hier schon mitbekommen haben – von der Sprache, von Lindi, von Lebensgewohnheiten der Menschen, die für uns schon völlig normal und alltäglich sind, den Besucherinnen aber regelmäßig auffielen. Die Kinder waren glücklich, ihr neues Zuhause und neue FreundInnen zeigen zu können, den Besucherinnen Begrüßungsformeln auf Kiswahili beizubringen und endlich einfach mal wieder mit Oma ein Buch zu gucken. Auch wenn die Zeit schnell verging – sie war sehr intensiv und wertvoll für uns alle!
Karibu tena! (Wörtlich „Willkommen noch einmal!“)
Zum Weiterlesen:
Kimbilio Lodge in Kilwa Marokko: http://www.ed.co.tz/property/kimbilio/
Weltkulturerbe Kilwa Kisiwani: http://whc.unesco.org/en/list/144/
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Opferfest am Strand
Durch das Gedränge der Menschenmenge
Bahnen wir uns den altbekannten WegDie Toten Hosen*
Heute begann das Opferfest Eid Al-Hadha, das einen der höchsten Feiertage im islamischen Kalender und den Beginn der Wallfahrt nach Mekka darstellt.
Da sich der genaue Zeitpunkt nach dem islamischen Kalender und damit nach der Neumondsichtung richtet, wussten wir erst Anfang der Woche vom Feiertag am Freitag und die in dieser Woche stattfindende Fortbildung über "patient safety in obstetric surgery" mit deutscher Delegation musste einen Tag früher beendet werden.
Wie beim Fastenbrechen trafen wir uns mit Freunden am Stadtstrand in Lindi. Mwajuma hatte wieder extra für uns leckeren Gewürzreis mit Fleischsoße und Chapati (Maisfladen) gekocht. Immerhin konnten wir nach mehrwöchiger Testphase einen selbst gebackenen Apfelkuchen aus dem Gasofen beisteuern.
Ohne viel weiteren Text hier die Bilder des Tages, die hoffentlich einen kleinen Eindruck von der bunten und fröhlichen Atmosphäre bieten.
(p&w)
Zum Weiterlesen:
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Eine Erlanger Spitzmaus am indischen Ozean
Life, oh life, oh life, oh life
(Des'ree)*
Aus aktuellem Anlass (dazu komme ich am Ende) heute ein kleiner Beitrag zu einem Thema, das uns seit unserer Ankunft hier begleitet.
Bereits kurz nach unserer Ankuft in Lindi gab es einen Tag, an dem wir drei verschiedene Situationen erlebten, die Ronja und Kalle und uns alle sehr beschäftigte. Alle drei Momente hatten mit dem Umgang von Kindern mit Tieren zu tun:
Am Vormittag finden wir am Strand eine kleine Wasserschlange, die anscheinend gestrandet war – sie bewegt sich nur noch wenig, ist aber ganz offensichtlich noch lebendig. Wir beobachten sie und überlegen, ob und wie wir sie wohl am besten ins Meer zurücktragen sollen. Kurz darauf kommt ein ca. 4jähriger Junge anspaziert. Er hat eine leere Plastikflasche in der Hand und nachdem er die Schlange entdeckt hat fängt er an, mit dieser Flasche auf der Schlange herumzuschlagen. Ronja und Kalle sind erstaunt und können nicht verstehen, warum der Junge das tut. Vielleicht ist es eine giftige Schlange? Gleicher Tag, gleicher Strand - eine Gruppe Kinder nähert sich, ein Kind hat eine dünne Schnur in der Hand, am unteren Ende ist etwas festgebunden. Als wir auf die Kinder treffen sehen wir, dass es ein Krebs ist, der an der Schnur relativ unsanft von hier nach da hin und her gezerrt wird. Wir fragen uns, warum der Junge den Krebst wohl festgebunden hat und ob der Krebs nicht lieber wieder seine Freiheit hätte. Die dritte Situation ereignet sich ebenfalls am Strand. Unter einem Baum liegt ein Hund auf der Seite. Er bewegt sich nicht, für uns sieht es aus als sei der tot. Um ihn herum steht eine Gruppe Kinder und bewirft den Hund mit Steinen. Sie holen weit aus und werfen möglichst kräftig. Wieder bleiben wir stehen und fragen uns, warum? Falls der Hund noch lebt, wäre es schlimm, ihn noch zusätzlich zu quälen. Und auch wenn er tot ist finden wir, sollte er seine Ruhe haben.
Gestern tauchte dann schließlich ein offensichtlich kranker/verletzter Vogel bei uns im Garten auf. Wir setzten ihn in eine Pflanze und passten auf, dass die Katze ihn sich nicht schnappte. Später am Nachmittag war der Vogel gestorben. Nun kam es zu einem Konflikt zwischen Kalle und den Nachbarkindern, die wie immer bei uns spielten: Nachbarjunge Mafuro meinte, es sei eine gute Idee den Vogel zu seinem Hund zu bringen. Der könnte ihn fressen. Kalle war eindeutig der Meinung, der Vogel müsse ordentlich begraben werden – „wie die Spitzmaus“ (im Waldkindergarten, s.u.)! Nachdem es sich nun um unseren Garten handelte fand ich, durften wir in diesem Fall auch entscheiden und Kalle gab den Vogel eh nicht mehr raus. Also holten wir einen Spaten und gruben unter den ungläubigen Blicken der Nachbarkinder ein Loch, begruben den Vogel und schickten ihm Wünsche mit in den Himmel – so hat Kalle das im Waldkindergarten gelernt und ich fand es irgendwie „fair“, dass es nun einmal andersherum war und wir diejenigen waren, die handelten, und die Nachbarkinder staunend dabei standen.
Ein kurzer Auszug aus einer Waldpost aus dem Kindergarten zum Thema Beerdigung:
„So fanden wir letzte Woche eine süße kleine Spitzmaus. Sie wurde feierlich beerdigt mit Grab und Grabschmuck, mit Singen und Räuchern und vielen Wünschen, die wir mit dem Rauch in den Himmel schickten. So wie es sich gehört für eine ordentliche Beerdigung.“ (Waldpost vom 23.02.2017).
(w)
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Mikumi Nationalpark
A world begins where the road ends
Watch me leave it all behind
(Eddie Vedder)*
Als wir unseren Umzug nach Afrika planten, und mit den Kindern darüber sprachen war für Kalle schnell klar, was seine Vorstellungen von unserem neuen Wohnort waren: Es sollte einen Jeep geben, möglichst mit großem Ersatzrad hinten dran und natürlich jede Menge Löwen und andere wilde Tiere! Nun haben wir ein langes Wochenende (Dank Feiertag) genutzt und waren von Daressalam aus im Mikumi Nationalpark, westlich von Morogoro. Laut Auskunft in der Sprachschule klang es ganz einfach: Mit einem öffentlichen Bus („Dala Dala“) bis zum Ubungo Busterminal, von dort aus „etwa 2 Stunden“ mit einem Reisebus nach Morogoro. Die Busse fahren „eigentlich ständig, mindestens stündlich“!
Wir starteten unsere Anreise am Freitag um halb 10. Nach ca. 2 Stunden abwechslungsreicher Fahrt durch unzählige Nebenstraßen und gefühlte 47 Haltestellen später kamen wir am größten Busbahnhof von Daressalam an, die Fahrt kostet pro Sitzplatz (Kinder auf dem Schoß zahlen also nicht) 15 cent. Am Busbahnhof Ubungo machten wir uns auf die Suche nach der richtigen Busgesellschaft und kauften für 3 Euro pro Sitzplatz Tickets nach Morogoro. Nach knapp 3 Stunden in der Mittagshitze und inmitten regelmäßig großflächig aufgewirbeltem Sand kam ein Bus, der tatsächlich zu unserem Ticket passte! Nach etwa zwei Stunden hatten wir Daressalam hinter uns gelassen und nach weiteren zwei Stunden kamen wir in Morogoro an – es war mittlerweile 18:00, laut Google Maps hatten wir 177 km zurückgelegt.
In Morogoro holte uns ein Bekannter vom Busbahnhof ab und brachte uns in eine kleine Pension, die von Mama Pierina junior, einer Dame mit griechisch/italienischen Wurzeln geleitet wird. Aufgewachsen ist sie in Tansania, verheiratet mit einem Brasilianer. Wir verbrachten einen unterhaltsamen Abend bei Lasagne und Tzatziki und wurden am nächsten Morgen um 5:30 von einem vorab gebuchten Guide abgeholt. Natürlich mit einem Jeep (inklusive Ersatzrad)! Den Haupteingang des Mikumi Nationalparks erreichten wir nach einer gut einstündigen Fahrt; dort wurden verschiedene Formalitäten erledigt und wir durften schließlich durchs Tor! Vorab wurden wir noch von verschiedenen Reisegruppen fotografiert, was bei uns immer wieder Irritation hervorruft – was ist so Besonders an uns, dass alle mit uns fotografiert werden wollen? Vor allem unsere blonden Kinder sind begehrte Accessoires für Selfies. Unser Fahrer meinte, als wir ihn dazu fragten: „Weiße kommen direkt nach Gott!“
Im Nationalpark selber sahen wir dann tatsächliche jede Menge Tiere – Elefanten, Giraffen, Impalas, Warzenschweine, Flusspferde, Krokodile, jede Menge Affen und sogar einen Löwen! Wir waren schwer beeindruckt – es ist wirklich ein ganz neues Gefühl, einem Löwen so unmittelbar und ganz ohne Zaun und Glasscheibe in die Augen zu schauen... Der Mikumi Nationalpark ist der viertgrößte Nationalpark in Tansania (1964 gegründet) und bildet zusammen mit dem südlich angrenzenden Selous-Wildschutzgebiet ein fast 60.000 qkm großes Ökosystem. Er wird im Norden, Westen und Süden von Bergen begrenzt was wirklich wunderschön ist!
Der Park ist vor allem bei Vogelliebhabern bekannt und auch wir bekamen (zwar ohne weitere Fachkenntnisse unsererseits) verschiedenste Vogelarten zu sehen. Abends fuhren wir schließlich zurück nach Morogoro, um am folgenden Sonntag die Rückreise nach Daressalam anzutreten. Die vierstündige Busfahrt konnte uns nun ja nicht mehr überraschen...
(w)
Noch ein paar Eindrücke in Schwarz-Weiß:
Zum Weiterlesen:
- Mehr Informationen zum Nationalpark auf den offiziellen Tourismus-Seiten
- Mama Pierino Guesthouse bei Tripadvisor
- Vom Kleinen Maulwurf der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat
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Zurück in Dar
Haraka haraka haina baraka
Viel Eile hat keinen Segen
(Swahili Sprichwort)
Die vergangen drei Wochen verbrachten wir in Daresslam, erneut im Onnela, auf der Masasani Halbinsel. Philipp und ich waren hier für drei Wochen vormittags bei einem Intensivkurs Kiswahili am KIU eingeschrieben. Blieb noch die Kinderbetreuung zu organisieren.
Von Lindi aus hatten wir Ronja und Kalle im sogenannten „Winter Camp“ eines örtlichen Kindergartens angemeldet (eine Art Ferienprogramm) und Mats wurde gemeinsam mit dem knapp dreijährigen Sohn einer Arbeitskollegin von Philipp von dessen „Dada“ Happy (Kindermädchen) hier im Onnela betreut – sie wohnen praktischer Weise direkt gegenüber.
Der Sprachkurs war wirklich toll! Unsere Lehrerin, Mama Saada, gestaltete den Unterricht mit genau der richtigen Mischung aus fundiertem Sprachunterricht, ständigen praktischen Übungen (da Philipp und ich die einzigen Schüler waren wurden wir ordentlich gefordert), Humor und Informationen am Rande. Der Name „Mama Saada“ ergibt sich übrigens aus dem erstgeborenen Sohn einer Frau. Ich selber werde hier daher mit „Mama Kalle“ (oder eher „Mama Kalli“) angesprochen. Zusammen mit Mama Saada lernten wir also täglich von 8:00 bis 12:00 und bemühten uns, abends noch die Hausaufgaben zu erledigen und Vokabeln zu pauken. Im Gegensatz zu Daressalam spricht in Lindi so gut wie niemand Englisch, sodass für uns das Kiswahili eine große Bedeutung hat, wollen wir uns doch (unter anderem) mit unseren Nachbarn verständigen und Philipp braucht die Sprache natürlich dringend für seine Arbeit im Krankenhaus.
Neben dem Sprachkurs blieb Zeit für diverse andere Dinge – an den Wochenenden machten wir tolle Ausflüge; zum einen nach Morogoro und in den Mikumi Nationalpark (gesonderter Eintrag) sowie nach Mbudya Island, eine wunderschöne paradiesische Insel, östlich von Daressalam. Zusammen mit einem Freund aus Daressalam besuchten wir das (laut Reiseführer) afrikanischste Viertel Daressalams, Kariakoo, mit angegliedertem Stoff- sowie Obst und Gemüsemarkt. Und bereits nach nur vier Wochen in Lindi genossen wir es, in Daressalam nicht ganz so „anders“ zu sein (in Lindi sind wir fünf von insgesamt maximal zehn weißen Menschen) und womöglich einige Meter ohne konstante Beobachtung zurück zu legen.
Philipp verbrachte diverse Stunden bei Behörden und in Büros, um verschiedenste administrative Vorgänge anzuleiern, zu begleiten, und womöglich zu Ende zu bringen. So galt es beispielsweise ein „EC“ = „Exemption Certificate“ zu erhalten, um somit das aus Japan importierte Auto steuerfrei (abgesehen von einer Strafsteuer bei Autos die älter als 9 Jahre sind...) einführen zu dürfen. Auch eine „TIN“ Nummer brauchten wir (Tansanische Steuernummer), ferner natürlich Residence Permits. Dienstausweise mussten in der deutschen Botschaft beantragt werden, die Umschreibung eines gebraucht gekauftes Motorrads war etwas komplizierter als erwartet und ob und wann unser Auto den Zollbereich im Hafen verlassen darf... es bleibt spannend!
Wir fliegen Montag auf alle Fälle erstmal wieder ohne Auto nach Lindi und haben einen Freund in Daressalam, der uns das Auto nach Lindi fahren wird, sobald es freigegeben ist. Vermutlich müssen wir vorher noch eine Storage Fee blechen, da das Auto mit Sicherheit länger als erlaubt parkt. Die Luftfracht ist übrigens mittlerweile in Lindi angekommen und die Kinder freuen sich schon sehr auf ihre Spielsachen. Wir „Großen“ haben in den letzten Wochen hingegen immer wieder darüber nachgedacht, dass wir eigentlich seit zwei Monaten sehr gut mit dem Inhalt unseres Fluggepäcks (und einiger hier gekaufter Dinge) leben und was da bloß noch so mit der Luftfracht kommt und ob das wohl alles so nötig ist?!
Wir freuen uns auf die Rückkehr nach Lindi und Ronja kann es kaum erwarten, endlich endlich in ihre neue Schule zu gehen! Wir melden uns mit einem Eintrag zum ersten Schultag!
(w)
Zum Weiterlesen:
- Mbudya Island bei Tripadvisor
- Homepage der KIU Sprachschule
- Für ganz Harte: die Tanzania Revenue Authority
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"Allein" in Lindi
„Wo die Wellen am höchsten sind
ist das Ufer nicht weit!“
(Afrikanisches Sprichwort)
Ich weiß nicht mehr, an welcher Stelle genau, aber irgendwann in den Wochen vor der Abreise in Deutschland las ich dieses afrikanische Sprichwort und fand es – damals schon – unglaublich treffend. Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie hoch die Wellen noch schlagen würden und hatte mich inmitten von Koffern und den Kopf voll mit Abschiedsfest-Zwischenmiete-Luftfracht-Einlagerungs-Logistik bereits in Ufernähe vermutet. Als klar wurde, dass Philipp kurzfristig nach Deutschland fliegen würde überfiel mich kurzfristig tatsächlich Panik. Ich bin sonst kein Mensch, der leicht in Panik gerät aber bei dem Gedanken, eine komplette Woche mit allen Kindern in Lindi alleine zu sein wusste ich nicht, wie ich das schaffen sollte. Wir waren ja bereits seit drei Wochen in unserem neuen Haus, ohne Schule (Winterferien) oder Kindergarten, ohne Auto, ohne die Sprache wirklich zu sprechen und mit wenig englischsprechenden Kontakten. Philipp war tagsüber in der Klinik und die Tagesgestaltung für mich eine konstante Herausforderung, zumal die Luftfracht (mit Spielsachen, Büchern, Fahrrädern ...) nach wie vor auf sich warten ließ. Unser Haus liegt zudem ca. 8 km vom eigentlichen Stadtkern Lindis entfernt, was in Sachen Mobilität (v.a. Einkaufen) ohne eigenes Auto schwierig ist. Philipp musste diese schwere Reise gezwungener Maßen ganz alleine antreten und für mich und die Kinder war und bleibt der Verlust der Oma sehr schwer zu fassen.
Nun kann ich rückblickend sagen, dass wir Vier die Woche sehr gut hinter uns gebracht haben (und mittlerweile ja alle in Daressalam wiedervereint sind). Höhepunkt der Woche war unangefochten Id al Fitr (Zuckerfest)! Nach vierwöchigem Ramadan wurde zwei Tage lang das wichtigste Fest der Muslime gefeiert und jede Menge gegessen. Vielleicht aufgrund der wunderschönen Küste Lindis passierte dies in erster Linie am Strand. Die Kinder und ich wurden nachmittags von Philipps Büromitarbeiterin Mwajuma, unserem Gärtner Hamisi und einem der beiden Nachtwächter, Simon abgeholt und gemeinsam fuhren wir zum Strand. Mwajuma hatte für alle gekocht und so saßen wir staunend unter all den fröhlichen, bunten Menschen. Ronja und Kalle sprangen wie alle Kinder durch die Wellen, Mats mampfte glücklich Popcorn, Chapati, Reis, Ananas und was er noch so kriegen konnte. Ich war sehr dankbar für den schönen Nachmittag und das „mitgenommen werden“, mitten hinein in dieses lebendige Fest. Es ist doch etwas ganz Anderes, ob man als fremder Beobachter am Rande dabei ist oder mit Freunden mitten drin sitzt.
Gegen Ende der Woche konnten wir – ein weiterer Höhepunkt für Ronja und Kalle – die beim Schneider bestellten Schuluniformen abholen. Zu Hause wurden sie natürlich sofort anprobiert und vorgeführt. Ronja kann es kaum erwarten, sie endlich zum ersten Schultag Ende Juli anzuziehen!
Den Rest der Woche verbrachten wir sehr unterschiedlich – Kalle half Hamisi im Garten oder kletterte und spielte mit den Nachbarkindern. Ronja war ebenfalls viel draußen mit den anderen Kindern unterwegs, hörte viele Stunden lang Hörbücher, übte Lesen und Schreiben und malte und bastelte viel. Mats turnte zwischen allen herum und spricht schon die ersten Wörter auf Kiswahili. Wir waren am wunderschönen Mitema Beach (3 km von unserem Haus) und im Pool vom neu eröffneten Seaview View Hotel in Lindi City. Gegen Ende der Woche machte ich das Haus fertig für drei Wochen Abwesenheit – das hieß Kühlschrank leermachen, abtauen und putzen, jegliche offenen Lebensmittel verschenken oder aufessen, generell möglichst wenig rumliegen lassen. Die Krabbeltierdichte ist hier doch deutlich höher als in Erlangen... Pünktlich zum Packen fiel der Strom aus und ich packte also mit Stirnlampe für 5 Personen und drei Wochen Daressalam. Es ist verrückt, in welch anderem Licht einem so Manches auf einmal erscheint und was alles geht oder nicht geht. Früh um 4:00 setzte ich die Kinder in ein geliehenes Auto der GIZ und fuhr damit zur Tankstelle von Lindi, von wo aus dankenswerterweise ein Fahrer der GIZ das Steuer übernahm. Diese 7 Km waren die dunkelsten, die ich je in einem Auto zurückgelegt habe! Aufgrund des Stromausfalles fielen die Lichter jeder auch noch so kleinsten Glühbirne weg, die sonst vor vielen Häusern hängen. Auch die Tankstelle war ohne Beleuchtung und Straßenlaternen gibt es eh keine. Zum Sterne gucken ist das natürlich großartig, allerdings kann ich gut verstehen, warum wir laut Arbeitgeber dazu angehalten sind, Fahrten im Dunkeln wenn möglich zu vermeiden...
Wir kamen vormittags in Daressalam an und fühlten uns schon deutlich sicherer als noch vor einigen Wochen, als wir völlig erschlagen von der Hitze und den langen Flügen aus Deutschland hier gelandet waren. Der Weg ins Onnela war vertraut und das Haus kannten wir bereits. Am Nachmittag kam auch Philipp an und wir waren sehr froh, wieder alle zusammen zu sein.
Nun verbringen wir zurzeit drei Wochen in Daressalam bei einem Sprachkurs, die Kinder sind von 8:00-12:00 in einem Kindergarten, der aufgrund der Ferien gerade ein „winter camp“ (Ferienprogramm) anbietet. Hierzu wird es einen eigenen Eintrag geben.
(w)
Ronjas Worte zum Zuckerfest:
„Heute war ja wirklich das Zuckerfest, und alle hatten wunderschöne Kleider an. Die Mwajuma hat uns mit zum Strand genommen und den Gärtner und den Wächter auch noch mitgenommen, und dann haben wir da Popcorn gekriegt, das war ganz süß, dann haben wir da noch ganz lecker gegessen, und in den Wellen gespielt. Alle die da waren, zumindest ganz viele, wollten von uns Bilder machen mit den afrikanischen Mädchen, die hatten wunderschöne Kleider an. Alle hatten Eis, auch die Muslime haben Eis gegessen und Popcorn und jede Menge andere leckere Sachen. Kalle und Mats und ich haben jeder einen Luftballon gekriegt. Da war wirklich fast die ganze Stadt versammelt, fast ganz Lindi.“
Zum Weiterlesen:
Facebook-Seite vom Seaview Hotel in Lindi
Mehr zu Zuckerfest und Fastenbrechen
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