Things change
Yet no one stays the same
Life’s just a dream we have
Of reality

(lamb)

English version via Google Translate after the click..

Heute ist der dritte Mai 2019, in etwa einem Monat werden wir nach zwei Jahren Lindi verlassen und nach weiteren vier Wochen Reise durch Tansania den Heimflug antreten. Bislang war mein Kopf gefüllt mit logistischen Fragen und mein Bewusstsein beschäftigt mit Anträgen, Bewerbungen und Bescheinigungen. Aber heute hat es mich erstmals so richtig getroffen!

Ich hatte zu einem Meeting mit den pädiatrischen Kollegen und dem Chef der Klinik („Medical Officer in Charge“) eingeladen und wir konnten zwei Stunden sehr offen sprechen: über meine Erfahrungen und Beobachtungen der letzten zwei Jahre, über Dinge, die sich weiter entwickelt haben und Probleme, die weiterbestehenden. Da sich in der neuen Projektphase der GIZ inhaltlich einige Verschiebungen ergeben haben – der neue Schwerpunkt lautet nun Digitalisierung des Gesundheitswesens – wird es vorerst keinen weiteren Entwicklungshelfer für Neugeborenengesundheit in Lindi mehr geben.

Nach dem Ende des Meetings, beim Verräumen der übrig gebliebenen Mandazi (Teiggebäck) wurde es mir plötzlich klar, als würde ein riesiges leuchtendes Schild vor mir auftauchen:

Wir werden das hier alles verlassen!

Menschen, die zu FreundInnen geworden sind. Ein Haus, bei dem endlich alles funktioniert. Eine Arbeit, bei der sich langsam Übersicht einstellte. Die wunderbaren Orte um Lindi herum, Kilwa, Mchinga, Mikindani. All die Strände. Poatenge. Mehr und mehr Einblick ins Suaheli. Den Freundeskreis der Kinder. Und natürlich die mit all dem verbundene Lebensart.

Wiebke ist dieses Gefühl des herannahenden Abschieds und Zurücklassens schon länger schmerzlich bewusst. Und seit heute merke auch ich ganz deutlich, was das bedeutet und kann sie mehr und mehr verstehen.

Unser Mwera-Bajaj

Nach einem grauen Regentag gestern ist es heute Morgen regelrecht kühl aber sonnig und ich sehe den indischen Ozean am Horizont glitzern. Philipp hat heute Vormittag für den Weg zur Arbeit ausnahmsweise das Auto genommen, weshalb ich zu Fuß von unserem Haus zur Hauptstraße herunterlaufe. Die in die Höhe geschossenen, mannshohen Gräser um mich herum leuchten grün und dampfen in der Morgensonne. Am Wegrand rechts von mir mümmeln die drei Kühe der Nachbarsfamilie ihre Tagesration Gras. Unten an der Hauptstraße angekommen sehe ich bereits mein Lieblingsbajaj mit Fahrer Mwera ankommen und halte ihn durch ein kurzes Winken an. Ich steige zu und wir begrüßen uns mit den üblichen Nachfragen nach Haus, Familie, Arbeit etc. An der nächsten Ecke steigt ein älterer Herr in der traditionellen Freitagstracht (kanzu) der Muslime ein. Mwera und ich sowie der dritte Fahrgast begrüßen ihn der Reihe nach respektvoll mit „Shikamoo“, sinngemäß „Ich bin unter deinen Füßen“ und weiter geht die gemütliche Fahrt. Und so sitze ich also im Bajaj und fahre mit gemütlichem Tempo am Meer entlang die sieben Kilometer bis Lindi und habe jede Menge Zeit, all dies jetzt schon ein bisschen zu vermissen.
(Wiebke)

Es ist diese doppelte innere Zerrissenheit, die den Abschiedsprozess so schwierig macht:

Einerseits freuen wir uns alle (bis auf Mats – der vermutlich kaum weiß, was ihn erwartet) sehr auf Deutschland mit seinem uns vertrauten Umfeld, seiner Planbarkeit und unseren FreundInnen und Verwandten. Andererseits wissen wir nicht, wie wir mit dem Eigenkulturschock (hier) klar kommen: wir haben uns an manche Andersartigkeit des tansanischen Alltagslebens, an eingeschränkte Warenverfügbarkeit, Kommunikationswege, Abläufe uvm. gewöhnt und wissen, dass vieles in Deutschland ganz anders läuft, was wir ja eigentlich kennen müssten, sich aber erstmal fremd anfühlen wird. Schon wieder eine neue Eingewöhnung.

Ähnliches verspüren wir beim Gedanken an Lindi: einerseits werden wir manche Dinge vermutlich wenig vermissen, neben den großen Themen (Schule) z.B. die abendliche AntiBrumm-Dusche der gesamten Familie, Ameiseninvasionen auf Grund kleinster Zuckerkrümel, das unzuverlässige Internet und das stundenlange monoton-aufdringliche Surren der Solar-Anlage bei Stromausfall. Andererseits gefällt es uns hier wirklich gut, wir haben uns mit viel Mühe einen Alltag und ein abwechslungsreiches Leben aufgebaut, kennen und genießen die vielen verschiedenen Strände, wissen, wo man in Lindi (meistens) Käse und Butter bekommt und im Garten gibt es eine BMX-Bahn, vier Katzen und immer Kinder zum Spielen. Wir haben uns ein Stück weit in diese so andersartige und interessante Kultur mit ihren eigenen Regeln eingelebt.

In zwei Monaten geht dieser große Lebensabschnitt für uns alle zu Ende, und in Erlangen wird ein neuer Lebensabschnitt beginnen, mit vielen Neuerungen: Ronja wird erstmals auf einer deutschen Schule mit der dritten Klasse weitermachen, Kalle wird eingeschult und Mats darf in die Fußstapfen seiner Geschwister im Waldkindergarten „Die Pfifferlinge“ treten und überhaupt erst einmal Deutschland kennen lernen. Unser Alltag wird nicht mehr annähernd so sein wie vorAfrika, aber das soll ja auch irgendwie so sein.

So ist in den letzten Wochen alles im Fluss: wir sind erfüllt von Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen zwischen Freude und Trauer, machen uns diese Momente bewusst und halten uns offen für das, was in den nächsten Monaten und Jahren auf uns zukommen wird.

(P+W)

Zum Weiterlesen:

Artikel in der FAZ zum Thema: https://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/das-interesse-haelt-nur-fuenf-minuten-an-1304724.html

»The more that you read,
The more things you will know.
The more that you learn,
The more places you’ll go.«

Dr. Seuss

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