But I can’t do this all on my own
No, I know I’m no SupermanLazlo Bane*
Nach fast vier Monaten Leben in Tanzania ist es nun endlich Zeit für einen ersten medizinischen Artikel. Bei all den vielen medizinischen Eindrücken fühle ich mich noch weit davon entfernt, meinen Projektkontext oder gar das System der Neugeborenenversorgung (mit seinen verschiedenen Schwestern- und Ärtze-Ausbildungsstufen, Zuständigkeiten, Materialknappheit, Medikamenten-Beschaffung, Abläufen) zu überblicken. Entsprechend schwer fällt es, darüber zu schreiben.
Die ersten Wochen wurde ich im Sokoine Hospital in Lindi eingearbeitet, das als Regional Referral Hospital das am höchsten spezialisierte (staatliche) Krankenhaus der Region Lindi darstellt. Die Region Lindi ist die drittgrößte, mit 13 Personen pro km2 bevölkerungsschwächste(Deutschland 226 Einwohner/km2) und gleichzeitig eine der ärmsten Regionen Tansanias.
Zur Orientierung ein paar Daten zu Tansania:
die Lebenserwartung bei Geburt liegt bei 65,5 Jahren (Deutschland 81,1 Jahre),
das mittlere Alter der Bevölkerung ist 17,3 (!) Jahre (Deutschland 46,2 Jahre)
(Daten von 2015, Human Development Report, PDF).
Irgendwann schreibe ich auch einen ausführlichen Beitrag über die Klinik in Lindi, das Projekt IMCH (Improvement of Maternal and Child Health) und meine Aufgaben als Development Advisor.
Jetzt geht es erst einmal um Supportive Supervision. Ein paar grundlegende Informationen vorne weg. Die medizinische Versorgung von Neugeborenen gibt es in der Region Lindi eigentlich erst seit ca. 5 Jahren durch die Arbeit meines Vor-Vorgängers Dr. Holger Brockmeyer. Zuvor wurden Neugeborene den Müttern auf die Wochenbettstation mitgegeben, speziell für Babys zuständige Ärzte gab es nicht. Eine Erstversorgung im Sinne von Stimulation oder Beatmung und Blähmanövern oder Folgebehandlungen bei LowBirthWeight oder Neugeborenensepsis wurde nicht angewendet.
Entsprechend überdurchschnittlich hoch waren Säuglingssterberate, infant mortality rate, innerhalb des ersten Lebensjahres: Deutschland 4 / 1000, Tansania 51 / 1000, Lindi 75 /1000, Zahlen von 2010-2012.
Ebenso die Neugeborenensterberate, neonatal mortality rate, innerhalb der ersten vier Lebenswochen: Deutschland 2,7 / 1000, Tansania 26 / 1000, Lindi 35 / 1000, Zahlen von 2010 (Quellen u.a. Weltbank und Tanzania One Plan II).
Erst durch viele internationale Initiativen und engagierte lokale Ärzte sowie das GIZ-Projekt von Holger entwickelte sich langsam überhaupt eine Neugeborenenmedizin, die aber auf Grund stark begrenzter Ressourcen und Ausbildung kaum mit unserer Neonatologie vergleichbar ist. Die häufigsten drei Krankheitsbilder in der Neo hier sind perinatale Asphyxie (ca. 25%, häufig obstructive labour aufgrund mangelhafter Überwachung des Geburtsvorganges), Neugeborenensepsis (ca. 40%) und Frühgeburtlichkeit / LowBirthWeight (ca. 33%). Eine Unterscheidung zwischen LBW und Frühgeburtlichkeit ist bei mehrheitlich fehlenden Daten zur Schwangerschaftswoche kaum möglich. Bei Bewertung dieser Zahlen sollte immer bedacht werden, dass alle Diagnosestellungen nur auf klinische Beobachtung basieren und entsprechend die Übergänge zwischen Asphyxie und Sepsis fließend sind.
Zur gesundheitlichen Versorgung der spärlich besiedelten Region gibt es eine funktionell hierarchische Struktur an Versorgungsebenen, von Regional Referral Hospitals für die Region über District Hospitals für die Distrikte zu Health Centres und Dispensaries, die über die Dörfer verteilt sind.
Zur Unterstützung und nachhaltigen Weiterentwicklung der Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen wurde „Supportive Supervision and Mentoring“ entwickelt: regelmäßige Besuche in den größeren Einrichtungen, meist alle 3 Monate, in denen ausgebildete Teams den klinischen Alltag in Labour Ward und NICU/Neonatologie begleiten. Hier können sie sehen, wie Standards und Abläufe umgesetzt werden und es um die materielle Versorgung mit Medikamenten, Gerätschaften usw. steht. Da viele Fragen quasi live beim Arbeiten entstehen, bieten sich in dieser Herangehensweise auch viele Möglichkeiten für direktes Mentoring und gemeinsames Sammeln von Verbesserungsvorstellungen.
Dazwischen gibt es Fortbildungs-Einheiten mit gemeinsamen Fallbeispielen und Übungen, die sich nach dem Bedarf der Mitarbeiter richtet. Gleichzeitig werden im Rahmen der Supportive Supervision auch Daten zur Statistik gesammelt („Indicators“), von der Anzahl an Geburten (Lebend, fresh stillbirth, macerated stillbirth) über Komplikationsraten (maternal wie neonatal, also Eklampsie und postpartale Blutung ebenso wie Asphyxie, Untergewicht/Frühgeburt und Sepsis), Überweisungen und Sterberaten, aber auch Geburtsmodi und Ausstattungen gesammelt. Das ist gar nicht so einfach, digitale Dokumentation erscheint wie ein ferner Fiebertraum. Für die Datensammlung arbeitet man sich durch ca. 4-6 riesige Bücher.
Für mich bedeuten die Supportive Supervision Touren eine Möglichkeit, neben einem Einblick in unterschiedliche medizinische Arbeitsweisen auch andere Regionen dieses riesigen Landes kennen zu lernen.
Vor drei Wochen war ich erstmals mit einem Team aus der Nachbarregion Mtwara zu einer solchen „supportive supervision & mentoring“ im Hinterland in Tandahimba unterwegs.
Da die Supervision von der Projektgruppe aus der Nachbarregion ausging, wurde ich am frühen Morgen erst einmal von unserm Fahrer nach Mtwara gebracht. Inzwischen kann ich auch auf durch diverse Baustellen und „Umleitungen“ unruhigen Fahrten problemlos auf dem Beifahrersitz schlafen.
Nach der Begrüßung im GIZ-Office und einem kurzen Kaffee ging es erst einmal zum Frühstücken, da der Fahrer noch seine Sachen holen musste. Danach fuhren wir entlang der Grenze zu Mosambique nach (Süd-)Westen ins Landesinnere über eine nicht enden wollende Dust-Road nach Tandahimba.
Die ersten 15km der Straße waren durch den Ausbau auf eine breite Teerstraße eine einzige Baustelle und in den Dörfern im weiteren Straßenverlauf konnten wir überall halb abgerissene Häuser und Markierungen sehen, denn laut Gesetz muss zwischen Straße und Haus ein Abstand von 30m bestehen. Wenn die Straße erweitert wird, verschiebt sich dieser Pflichtabstand natürlich auch, und die Häuser müssen weichen. Oder zumindest das 1/3, was in den Abstand hinein reicht. Es gibt wohl eine Entschädigung für die Hausbesitzer, aber die meisten Menschen wohnen augenscheinlich und nach Berichten tansanischer Kollegen in den verbleibenden Ruinen weiter.
Tandahimba selbst ist ein kleines, freundlich erscheinendes und sehr lebhaftes Städtchen mit einem kleinen Markt und einer großen Straße, die praktischerweise gerade frisch geteert worden und damit gesperrt war – quasi eine Fußgängerzone. An dieser Straße lag auch unser Guesthouse, und gegenüber der Laden von Mongi aus Arusha, der uns morgens und abends mit Essen, Trinken und Gesprächen versorgte.
Die Gegend um Tandahimba gehört dank der Cashewnuß-Industrie (hier die Firma einer Exil-Schwedin) zu den wohlhabenderen Regionen im südlichen Tanzania und es leben (für den Süden ungewöhnlich) viele Tansanier aus anderen Regionen in der Stadt.
Im District Hospital wurden wir herzlich begrüßt und konnten über die anschließenden vier Tage einen Einblick in den klinischen Alltag erhalten. Das Team wirkte auf mich sehr engagiert und versuchte, mit den wenigen Möglichkeiten viel zu erreichen. Für mich auf den ersten Blick ungewöhnlich war die Einteilung der Ärzte, die sowohl für den Kreisaal als auch die Neugeborenenstation gemeinsam zuständig waren. Also für die Versorgung der schwangeren Frauen und der neugeborenen Kinder. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass es das Arbeiten effizienter gemacht hat, da die Ärzte quasi schon während des Geburtsvorganges für das Kind zuständig sind.
Für alles weitere folgen fotografische Eindrücke. Weitere medizinische Berichte folgen.
(P)
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